
Ein Koffer, nicht nur für Bayern-Fans
Die Leihgabe des Fußballmeisters war für zwei Wochen in der Liebfrauenschule. Die darin enthaltenen Erinnerungsstücke sollten kein Anlass für sportliche Fachsimpelei sein, sondern dienten als Anschauungsobjekt für die Arbeit mit Menschen mit Demenz.
Ein großer Karton steht mitten im Klassenraum. 18 angehende Fachabiturienten der Liebfrauenschule Geldern schauen im Unterricht des Faches Pflege fragend darauf. Als er geöffnet wird, geht ein Stöhnen durch den Raum. „Oh Gott, vom FC Bayern“, entfährt es einem Schüler. Lehrer Andreas Mäteling weiß aber um die Bedeutung der Kiste: „Drinnen ist der Erinnerungskoffer von Bayern München!“
Dann richtet sich kein Geringerer als Uli Hoeneß per Tondokument an die Schüler: „Vor Ihnen steht ein Koffer voller Erinnerungen!“ Doch dem Ehrenpräsidenten des FC Bayern geht es nicht darum, dass die Schüler den Erfolgen des Vereins huldigen. Ihm geht es um weit mehr, um Menschen, die wie einst Gerd Müller, der „Bomber der Nation“, unter Demenz leiden.
Der Erinnerungskoffer enthält daher eine Vielzahl von zum Teil historischen Gegenständen, die vorwiegend aus den 70-er bis 90-er Jahren stammen. Schnell haben die Schüler ihn ausgepackt. Autogrammkarten von Weltmeistern, ein von Lothar Matthäus signierter Ball, ein Plakat vom Auswärtsspiel beim MSV Duisburg, ein historisches, rot-weiß gestreiftes Trikot, einlaminierte Spielerposter und Zeitungsartikel von großen Erfolgen, ein Fan-Schal, sogar die Meisterschale -allerdings aus Stoff- und vieles mehr kommen da zum Vorschein.
Zielgerichtet moderiert Andreas Mäteling die Runde und stellt die Frage, für wen der Erinnerungskoffer denn gedacht sei. Den Fachabiturienten aus dem Bereich Gesundheit und Soziales ist schnell klar, dass er nicht für Fanclubs zusammengestellt wurde, sondern dass es um das in der immer älter werdenden Gesellschaft existierende Problem des Vergessens, der Demenz geht. Cennet (18) ist sich sicher: „Die Erinnerung an alte Zeiten kann vieles offenlegen!“ Luca (18) pflichtet bei: „Kleine Erinnerungen, die sonst verborgen bleiben, können so geweckt werden!“
Dabei hilft der Koffer. „Die Gegenstände, die er enthält, bieten vielfältigen Anlass zum Gespräch, sowohl optisch als auch haptisch und akustisch“, so Mäteling. Und Jan (17) ergänzt: „Angesprochen wird dabei die wichtige emotionale Ebene, unabhängig davon, ob man den Verein mag oder nicht.“ Die Schüler wissen, dass das Langzeitgedächtnis bei Menschen mit Demenz im Gegensatz zum Kurzzeitgedächtnis noch recht lange erhalten bleibt.
Der Koffer soll, so erkennen die Schüler, Gesprächsanlässe bieten – über die Zeit, in der man samstags nachmittags im Hörfunk die Spiele verfolgte, über die Kneipe, in der man beim Bierchen ein Fußballspiel auf dem Fernseher sah, aber auch über die Mode, die Haare und den Bart der Spieler und der Menschen in den 70-er und 80-er Jahren.
Andreas Mäteling schlägt dann den Bogen zu möglichen Einsatzfeldern des Koffers durch die Schüler, von denen einige einen Pflegeberuf anstreben: „Was lehrt uns das?“ fragt er in die Runde. Die Schüler erkennen schnell. Sie müssen im Gespräch mit Menschen mit Demenz kleinschrittig, zum Beispiel mit Fotos und Zeitungsartikeln an alte Erinnerungen anknüpfen, an Fernsehsendungen und Musiker, an die Stadt, in der sie aufgewachsen sind, an den ausgeübten Beruf. Die wichtigen Konsequenzen, die derartige kleine Gespräche bewirken, bringt schließlich Hanna (16) auf den Punkt: „Wenn solche Erinnerungen wach werden, stärkt das die Selbstliebe und das so wichtige Selbstwertgefühl des alten Menschen!“
Auch diejenigen, die anfangs dem FC Bayern skeptisch gegenüberstanden, sind am Ende der Doppelstunde von dem Koffer und seiner Intention angetan. Andreas Mäteling, selbst Mitglied beim FC Bayern, freut das!
Text und Fotos: Ewald Hülk