Exklusivinterview mit Schulministerin Gebauer

Für unser Jahrbuch „Kontakte“ stellte sich die nordrhein-westfälische Schulministerin Yvonne Gebauer unseren Fragen.

Kontakte: Frau Ministerin, Sie haben 1985 am Kölner Heinrich-Heine-Gymnasium Ihr Abitur erlangt. Was für ein Schülerinnentyp waren Sie?
Minsterin Gebauer: Ich bin immer gerne zur Schule gegangen. Meine Lieblingsfächer waren Deutsch und Geschichte. Die Kombination gefällt mir – auch, weil ich seit meiner Jugend sehr gerne historische Romane über bekannte und berühmte Personen ihrer Zeit lese. Mein Favorit ist bis heute Stefan Zweig.
Kontakte: Hand aufs Herz: Haben Sie dort auch mal geschummelt?
Gebauer: Auch als Bildungsministerin bleibe ich ehrlich. Daher Hand aufs Herz: Klar, ich habe auch mal geschummelt.
Kontakte: Das Heinrich-Heine-Gymnasium trägt als einen Slogan „Herausforderungen annehmen!“ Welches sind Ihre größten Herausforderungen, die Sie als Schulministerin, z. B. auch für die Berufskollegs anzunehmen haben?
Gebauer: Neben beispielsweise der Umstellung der Gymnasien auf G9 ist die Behebung des dramatischen Lehrermangels sicher eine der größten Herausforderungen dieser Legislaturperiode. Ich bin angetreten mit der Forderung nach bester Bildung für alle Kinder in Nordrhein-Westfalen. Ohne beste und motivierte Lehrkräfte wird dies nicht gelingen. Darüber hinaus hat sich die Landesregierung auch das Ziel gesetzt, die Berufliche Bildung weiter zu stärken. An Berufskollegs haben junge Menschen die Möglichkeit, neben einer beruflichen Qualifizierung alle schulischen Abschlüsse zu erwerben und individuelle Ziele zu erreichen. Dazu zählt auch der duale Ausbildungsbereich. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass Studium und Ausbildung jungen Menschen einen gleichwertigen Karriereweg ermöglichen. Eine weitere zentrale Herausforderung ist die Digitalisierung. Hier werden wir an allen Schulen den Fokus auf die Anforderungen einer digitalen Bildung setzen und an den Berufskollegs zusätzlich auf die digitalisierten Arbeits- und Geschäftsprozesse. Unser Ziel ist, Schülerinnen und Schüler bestmöglich auf ihren beruflichen Werdegang vorzubereiten.
Kontakte: Welche Maßnahmen sehen Sie konkret vor, um dauerhaft unbesetzte Lehrerstellen, gerade auch an Schulen auf dem Land, zu besetzen?
Gebauer: Viele Bundesländer stehen vor dem Problem, dass an bestimmten Schulformen und für bestimmte Fächer nicht ausreichend Lehrkräfte zur Verfügung stehen. Das ist auch in Nordrhein-Westfalen der Fall. Wir versuchen hier mit verschiedenen kurz- und langfristigen Maßnahmen gegenzusteuern. Wir führen privilegierte Ausschreibungen für schwer zu versorgende Regionen durch oder ermöglichen den Seiteneinstieg, der vor allem auch an Berufskollegs ein sinnvolles Werkzeug ist. Denn hier gibt es z.B. besonders in den technischen Fachrichtungen durch die Konkurrenz zur Wirtschaft einen großen Bedarf. Mit einer breit angelegten Werbe- und Imagekampagne für den Lehrerberuf wollen wir langfristig eine Verbesserung erreichen.
Kontakte: Stichwort Inklusion: Welche Erfahrungen machen Sie damit an Schulen, insbesondere an Berufskollegs, und wie gedenken Sie, die Inklusion konzeptionell, personell und insbesondere auch finanziell zu verbessern?
Gebauer: Nordrhein-Westfalen kann auf eine langjährige Erfahrung des Gemeinsamen Lernens blicken. Die Berufskollegs werden durch die Stellen für multiprofessionelle Teams, Fortbildung und Handreichungen bei der Aufgabe unterstützt. Inklusive Schulen aus NRW wurden mehrfach ausgezeichnet und viele Eltern wünschen für ihr Kind ein sonderpädagogisches Angebot in allgemeinen Schulen. Damit die Umsetzung der Inklusion an den Schulen aber auch gelingt, wird die Landesregierung bei der Inklusion umsteuern. In Zukunft soll die Qualität das Tempo bestimmen. Wir werden daher die vorhandenen Ressourcen stärker bündeln. Die dazugehörigen Eckpunkte für die Neuausrichtung der Inklusion stellen wir in Kürze vor.
Kontakte: Unabhängig von der Inklusion sind Lehrerinnen und Lehrer immer mehr gefordert, mit individuellen Lernbarrieren unterschiedlichster Art und Ursache umzugehen. Jedem gerecht werden zu wollen, auch den Leistungsstärkeren, stößt an Grenzen. Wie kann man dabei das Qualitätsniveau der Ausbildung sicherstellen?
Gebauer: Vielfalt in den Klassenzimmern ist an allen Schulen eine große Herausforderung, auch an den Berufskollegs. Individuelle Förderung ist eine zentrale Leitidee des Schulgesetzes. Das heißt, der Unterricht sollte allen Schülerinnen und Schülern und ihren individuellen Ausgangslagen, ihren Stärken und Schwächen gerecht werden. Ein Schlüssel sind individuelle Hilfen bei Lernrückständen und die Förderung von besonderen Begabungen. Auf diese Aufgabe werden Lehrer in ihrer Ausbildung vorbereitet. Zudem liegt auch gerade in diesem Bereich eine große Chance in digitalen Unterrichtsmaterialien. Der gleiche Stoff kann hier je nach Niveau aufbereitet werden, sodass alle Schülerinnen und Schüler gemäß ihrer Talente gefördert werden können.
Kontakte: Vor wenigen Jahren wurden in fast allen Bildungsgängen unserer Schule die alten inhaltlich ausgerichteten Lehrpläne durch neue kompetenzorientierte Bildungspläne ersetzt. Seitdem sind wir mit der Implementierung dieser Bildungspläne für unsere Schüler und Schülerinnen beschäftigt, was einen sehr hohen zeitlichen, organisatorischen und personellen Aufwand erfordert. Laut Koalitionsvertrag soll nun „zurückgerudert“ und wieder mehr auf Inhalt/Fachlichkeit statt auf Kompetenzen geachtet werden. Heißt das, „alles wieder auf Anfang“ und wir müssen mit „neuen“ Lehrplänen rechnen?
Gebauer: Von Zurückrudern kann keine Rede sein. Wir wollen die Dinge nach vorne entwickeln. Dazu gehört ganz zentral die Stärkung der Fachlichkeit. Das beginnt schon in der Grundschule. Es geht darum, Schülerinnen und Schülern grundlegende Fertigkeiten und Fähigkeiten zu vermitteln: Lesen, Schreiben, Rechnen. Diesen elementaren Dingen, die für ein selbstgesteuertes Leben in unserer Gesellschaft unverzichtbar sind, wollen wir wieder mehr Geltung verschaffen. Bezogen auf die Berufskollegs heißt das: Wir wollen die Fachlichkeit und die berufliche Expertise stärken, damit die Schülerinnen und Schüler in ihren zukünftigen Berufen kompetent handeln können.
Kontakte: Wie lässt sich begründen, dass für das allgemeinbildende Schulwesen der Bereich der Ernährungs-und Verbraucherbildung gestärkt werden soll, im Berufskolleg aber durch die Fächerneuordnung eine Entwertung dieser Kompetenzen erfolgt?
Gebauer: Die neuen Bildungspläne orientieren sich ganz gezielt an beruflichen, gesellschaftlichen und persönlichen Handlungssituationen. Kompetenzen im Bereich der Ernährungs- und Verbraucherbildung, die sich nach den Empfehlungen zur Verbraucherbildung an Schulen der Kultusministerkonferenz richten, finden weiterhin an relevanten Stellen ihre Berücksichtigung. Von einer Entwertung kann also keine Rede sein. Stattdessen geht es darum, das Thema gezielter als bisher in den Unterricht zu integrieren.
Kontakte: Die Landesinitiative „Kein Abschluss ohne Anschluss“ ist vom Grundsatz her sicherlich positiv zu beurteilen. Beobachtet wird jedoch, dass Gymnasien und Gesamtschulen Schülerinnen und Schüler nur sehr ungern an ein Berufliches Gymnasium abgeben, wenn dieses den Interessen, dem Potential und der Kompetenz des Schülers stärker entgegenkommt (z. B. technisch, pädagogisch). Was gedenken Sie dafür zu tun, dass in diesem Bereich eine stärkere Kooperation zwischen den einzelnen gymnasialen Oberstufen von Gesamtschule, Gymnasium und Beruflichem Gymnasium entsteht?
Gebauer: Kooperationen zwischen Berufskollegs und Schulen mit Sekundarstufe I sind fester Bestandteil von „Kein Abschluss ohne Anschluss“. Informationsveranstaltungen, Schnuppertage, Hospitationen oder auch gemeinsame Elternveranstaltungen sind feste Programmpunkte. Ob ein Wechsel anzustreben ist, ist immer das Ergebnis einer Einzelfallbeurteilung. Zu berücksichtigen ist dabei sicherlich, dass Gesamtschulen und Gymnasien ihre Schülerinnen und Schüler auch zum Abitur führen. Ich sehe die Stärke des Berufskollegs vor allem darin, attraktive Alternativen auf dem Weg zum Abitur anbieten zu können.
Kontakte: Wie beurteilen Sie die Zukunft der Beruflichen Gymnasien? Was planen Sie für dessen Profilierung und Akzeptanz?
Gebauer: Ein Schulsystem ohne das Berufliche Gymnasium kann ich mir nicht vorstellen. Das Berufliche Gymnasium bietet mit seiner speziellen Profilierung vielen Schülerinnen und Schülern den Weg zum Abitur. Die Verbindung von beruflicher und allgemeiner Bildung ist vorbildlich. Nehmen Sie zum Beispiel den Bildungsgang für Gesundheit oder den Schulversuch „Berufliches Gymnasium für Ingenieurwissenschaften“. Hier werden ganz gezielt neue Zugänge zu neuen Berufsfeldern eröffnet. In Zeiten von Fachkräftemangel ist das auch ein wichtiger Beitrag zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Übrigens: Im letzten Jahr legten fast zwölf Prozent aller Abiturientinnen und Abiturienten in Nordrhein-Westfalen ihre erfolgreiche Abiturprüfung an einem Beruflichen Gymnasium ab, im Jahr 2008 waren es nur 8,4 Prozent. Das Berufliche Gymnasium ist also auf einem sehr guten Weg!
Kontakte: Die Liebfrauenschule ist eine private Schule in kirchlicher Trägerschaft. Welche Bedeutung messen Sie als liberale Politikerin diesen Schulen zu?
Gebauer: Schulen in freier Trägerschaft, hierzu zählen auch die kirchlichen Schulen, bereichern unser vielfältiges Schulsystem. Und es gibt zahlreiche Berufskollegs in freier Trägerschaft. Die unterschiedlichen pädagogischen Konzepte und Profile leisten einen wichtigen Beitrag, um den unterschiedlichen Neigungen und Bedürfnissen der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen bestmöglich gerecht zu werden.
Kontakte: An unserer Schule gibt es seit 2001 eine Veranstaltungsreihe, in der Schülerinnen und Schüler zu aktuellen Themen mit Experten diskutieren. Überregional bekannte Gäste, unter anderem auch zahlreiche Bundes- und Landesminister, diskutierten daher schon auf unserer Aulabühne. Dürfen wir Sie während der laufenden Legislaturperiode auch einmal bei einem schulpolitischen Thema bei uns in Geldern begrüßen dürfen?
Gebauer: Ich komme sehr gerne und freue mich auf eine spannende Diskussion.

Foto: Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen


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