Achtung Sturzgefahr! Eine Selbsterfahrungsübung…

Bepackt mit einem geheimnisvollen schwarzen Koffer betrat Herr Mäteling am letzten Freitag, dem 17.05., den Klassenraum unserer Klasse HEP/U. Nach und nach wurde das Geheimnis des Inhalts gelüftet und zum Vorschein kamen Brillen, Gelenkbandagen u.v.m. Alle diese Teile zusammen bilden den so genannten Alterssimulationsanzug, wie wir kurz darauf erfahren sollten.

Genauer gesagt besteht dieser Anzug aus verschiedenen Gewichten in Form einer Weste, aus Arm und- Bein Erschwerungen, die die Gelenke schienen und deren Versteifungen imitieren, Brillen, die das Blickfeld von Menschen mit verschiedenen Augenerkrankungen simulieren (Grauer Star, Grüner Star, Netzhautablösung, Diabetische Retinophathie u.a.), und damit das Sehen erschweren, geräuschdämpfenden Kopfhörern und einer Halskrause die es einem unmöglich macht, den Kopf nach allen Seiten zu wenden.
Beim Ansehen und Beschreiben der Kofferinhalte sollte es aber nicht bleiben. Mit all diesen Dingen ausgerüstet, sollte uns eine ganz besondere Form der Selbsterfahrung ermöglicht werden.

Als erste Studierende hatte ich das „Vergnügen“, unter den staunenden Blicken meiner Klasse nach und nach die volle Montur anlegen zu dürfen und innerhalb von ein paar Minuten gefühlt in eine andere Welt zu gelangen.
Zu Beginn fiel es mir besonders schwer, meine Mitmenschen zu verstehen und Geräusche zu lokalisieren. Alles klang dumpf und das, was vorher noch deutlich zu hören war, war plötzlich total gedämpft. Ebenfalls war es sehr befremdlich, nicht mehr klar sehen zu können. Auf einmal sah ich nur noch schemenhaft und alles in der Klasse wirkte unscharf. Das ganze Gesichtsfeld war eingeschränkt. Auch die Lichtverhältnisse waren plötzlich vollkommen anders als noch ein paar Minuten zuvor.

Voll bekleidet startet ich dann in Begleitung eine Mitstudierenden einen Rundgang durch die Schule.
Durch die vielen Gewichte war das Laufen ein ganz anderes. Mit jedem Schritt wurde es schwerer voranzukommen und der Versuch zu rennen scheiterte kläglich. Besonders das Treppensteigen viel mir schwer, schon nach kurzer Zeit wurden meine Beine müde, die Atemnot machte sich zunehmend breit und ich geriet rasch ins Schwitzen. Vor allem die Schienen zur Simulation der Gelenkversteifungen schränkten mich sehr in meiner Beweglichkeit ein, was mir besonders beim Treppensteigen auffiel, da es mir nicht möglich war, meine Knie zu beugen.

Alles war unheimlich anstrengend. Mir wurde plötzlich klar, dass es sich so anfühlen muss, wenn man steife Gelenke hat und kaum noch Kraft. Durch die Brille fiel es mir ebenfalls schwer, meine Umwelt auf dem Flur richtig wahrzunehmen. Menschen, die mehr als ein paar Meter von mir entfernt waren, konnte ich nicht mehr erkennen. Oftmals sah ich sie auch nur noch als Schatten.

Auch das Lesen von Hinweisschildern im Flur konnte ich kaum bewerkstelligen, ohne mir die Nase am Schild förmlich platt zu drücken. Gerade die Einschränkungen im Sichtfeld und das verminderte Hören haben mich beim Gehen sehr ängstlich und unsicher werden lassen. Je unsicherer ich aber wurde, umso wackeliger wurde auch mein Gang. Da war ich unendlich dankbar, dass ich jemanden an meiner Seite hatte, der mich auf Gefahren – wie z.B. Stolperfallen in Form von Füßen an einer Stellwand oder Schienen auf dem Boden – hingewiesen hat.

Alleine hätte ich all das gar nicht gesehen, obwohl ich doch schon so vorsichtig gelaufen bin.
Abschließend kann ich sagen, dass dieser Unterricht mit der Möglichkeit zur Selbsterfahrung am eigenen Leibe hat erfahrbar werden lassen, wie wichtig unser neues Thema „Sturzprophylaxe“ in der Arbeit mit Menschen ist, die von Behinderungen im Sehen, Hören oder beim Gehen betroffen sind. Es ist halt was ganz anderes, nur über Risikogruppen zu sprechen, oder am eigenen Körper erfahren zu haben, wie es sich anfühlt, zu einer so genannten Risikogruppe zu hören.

Für uns angehende Heilerziehungspfleger stellt sich also in den kommenden Wochen die Aufgabe, zu überlegen, mit welchen pflegerischen Maßnahmen wir die Sturzgefahr von Menschen mit Beeinträchtigungen senken und ihnen im Alltag Sicherheit vermitteln können. Mal ganz abgesehen von dem gewachsenen Verständnis für die Bedeutung unseres neuen Unterrichtsthemas und damit für die Relevanz des Expertenstandards Sturzprophylaxe, mit dem wir uns ausführlich beschäftigen, werde ich in Zukunft verstehen können, warum oftmals nachfragt wird was gesagt wurde, warum eine Pause bei größeren Spaziergängen gebraucht wird oder warum sich Beeinträchtigte nur langsam und zögerlich im Straßenverkehr bewegen.

Text: Gesa Mulder (HEP/U)
Fotos: Gina Toonen (HEP/U) & Andreas Mäteling


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