Voll behindert, uns allein zu lassen!

Auch Menschen mit einer Beeinträchtigung haben oft konkrete Vorstellungen, wie sie sterben möchten. Unsere „Heilerziehungspfleger“ erfuhren nun viel darüber, wie man zum Beispiel in einer Wohneinrichtung mit Unterstützung der Patientenverfügung in einfacher Sprache Abschied nehmen kann.

„Es kann in meinem Leben Zeiten geben, in denen ich sehr krank werde, vielleicht sogar sterbenskrank! Vielleicht fällt es mir heute in guten Tagen schwer, mir das vorzustellen. Es ist mir aber sehr wichtig, in einem solchen Fall selbst zu bestimmen, was ich dann will und was mit mir geschehen soll, z.B. dass ich meine Wohngruppe nicht verlassen und alleine ins Krankenhaus möchte.“

Noch immer aber wird der Wille von Menschen mit einer geistigen Behinderung in palliativen Versorgungskonzepten viel zu wenig einbezogen – so die kritische Bestandsaufnahme unserer Klasse aus dem Unterricht mit Herrn Mäteling zum Thema Hospiz- und Palliativversorgung in den Einrichtungen der Behindertenhilfe. Die Patientenverfügung in einfacher Sprache soll sich dem Thema nun annehmen und einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Situation lebensverkürzend erkrankter Menschen mit geistiger Behinderung leisten.

Am Dienstag, dem 26. Februar, besuchten uns – die HEP/O und die HEP/B – Frau Schaad, die federführend an der Patientenverfügung mitgearbeitet hat, und Frau Pick vom LVR-HPH-Netz Ost. Der Verbund der Heilpädagogischen Hilfen des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR-HPH-Netze) bietet erwachsenen Menschen mit einer geistigen oder einer mehrfachen Behinderung im gesamten Rheinland stationär betreutes Wohnen, Pflege, Tagesstruktur und ambulant betreutes Wohnen. Die LVR-HPH-Netze machen ihren Kundinnen und Kunden individuelle Unterstützungsangebote in allen Lebensbereichen, wenn nötig auch bis zum Lebensende.

Frau Schaad und Frau Pick gaben uns einen wertvollen Einblick in ihre eigene berufliche Praxis in der Betreuung von Menschen mit Behinderungen in der Sterbephase. Darüber hinaus schenkten sie uns konkrete Anregungen, mit denen wir selber Menschen im Sterbeprozess begleiten können. Mental konnten wir uns zunächst durch einen kleinen Film auf das Thema einstimmen. Darin wurden abwechselnd Zitate eines Abschiedsbriefes mit traumhaften Bildern unterlegt.

Wie überhaupt die Idee entstand, eine derartige Zukunftsplanung zum Lebensende zu erstellen, lösten die Expertinnen direkt im Anschluss an die Betrachtung auf: Menschen mit (und ohne) Behinderung werden älter und ihr Wille wird oftmals missverstanden oder kaum mehr beachtet. Sie sollen selbst und früh genug bestimmen können, wie etwa ihre letzten Lebenstage aussehen sollen oder wie sie sich ihre Beerdigung vorstellen. Denn: „Die meisten Menschen mit Behinderung wissen genau, was sie wollen!“, so Frau Schaad. Im Mittelpunkt stehe dabei, dass jeder Mensch möglichst selbstbestimmt und würdevoll sterben kann. „Das haben wir uns als Heilerziehungspfleger und andere Professionelle in der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen auf die Fahne geschrieben und das muss dann auch konsequent bis in die Lebensendphase sichtbar werden“, gab Frau Pick zu bedenken.

So entstand in Zusammenarbeit mit weiteren fachlichen Experten, aber vor allem auch mit Menschen mit geistigen Behinderungen, die so genannte Zukunftsplanung zum Lebensende: Was ich will! – eine Patientenverfügung in einfacher Sprache. In diesem vielseitigen Katalog wird, ähnlich wie bei einer Anamnese, fürs Erste zusammengetragen, was der Mensch mit Behinderung jetzt möchte und nicht möchte. Weiter kann er sich darüber äußern, was er sich unter dem Tod vorstellt, ob er eines Tages lieber zu Hause sterben möchte (was bei vielen Betroffenen der Fall ist), wem er sein Hab und Gut vermachen will und was ihm noch wichtig ist. Die detaillierte Vorstellung des Kataloges würde hier den Rahmen sprengen. Für Interessierte:
Was ich will! – eine Patientenverfügung in einfacher Sprache

Über das Endprodukt hinaus berichtete Frau Schaad vom beeindruckenden Entstehungsprozess dieses Kataloges. Dieser war vor allem von vielen Workshops gekennzeichnet, bei denen zu jedem Zeitpunkt die Rückmeldungen der betroffenen Menschen mit Behinderungen maßgebend für die Weiterentwicklung des Kataloges war.

Ist der Sterbeprozess erst mal weiter fortgeschritten, sei leider oft nur noch zu rätseln, was eigentlich der Wunsch der Bewohner ist, so Frau Pick. Deshalb ermunterte sie uns dazu, in aller Ruhe (vielleicht über die Dauer von mehreren Jahren) unterstützend Informationen zu sammeln und in der genannten Patientenverfügung festzuhalten.

Ein ebenfalls interessantes Projekt der Referentinnen für Menschen mit Behinderungen ist der Besuch im Krankenhaus: Im Rahmen dieses Besuches kann man unverbindlich „Probeliegen“ und langsam die Berührungsangst mit medizinischen Geräten (z.B. Röntgengerät, OP-Tisch) verlieren, die zum Beispiel im Falle einer schweren Krankheit, die mit einem Kran-kenhausaufenthalt einhergeht, zum Einsatz kämen.

Sehr berührend war für uns dann die von Frau Pick vorgestellte Begleitung einer lebensverkürzend erkrankten Bewohnerin, zu der im Vorfeld bereits eine Zukunftsplanung erarbeitet wurde, die nun in die Tat umgesetzt werden konnte. Man spürte hautnah die Tiefe in der persönlichen Begleitung der Bewohnerin und somit auch der Beziehung der Pflegenden zur Bewohnerin, was für uns so ergreifend war, dass fast ein paar Trauer-/Freudentränen vergossen worden wären. Letzteres vor allem deshalb, weil es schön war zu spüren, was alles möglich ist, wenn der (letzte) Wille frühzeitig ermittelt und somit schließlich im Ernstfall berücksichtigt werden kann.

Wie in jedem Expertenvortrag, so durfte auch hier ein Theorieteil nicht fehlen. Gegen Ende des Vortrages stellte uns Frau Schaad den aktuellen, von ihnen erarbeiteten Expertenstan-dard zur Begleitung von Sterbenden in den Einrichtungen des LVR-HPH-Netz Ost vor, in dem auch der Einsatz der o.g. Zukunftsplanung fester Bestandteil ist. Damit sei sichergestellt, dass die palliative Arbeit mit Menschen mit Behinderungen in den Wohngruppen zwar individuell gestaltet, aber zugleich nicht zufällig, sondern vielmehr unter Berücksichtigung der Richtlinien der Einrichtungen standardisiert erfolgt.

Es waren interessante Stunden, in denen wir viele Eindrücke aus der Praxis erhielten und unser Wissen zum Thema Palliative Care aus dem Unterricht erweitern konnten. Durch diese „echten“ Geschichten aus der Praxis wurde der Vortrag aufgelockert und ließ ihn zu einem abwechslungsreichen Erlebnis für die ganze Klasse werden.

Text: Konrad Heiderich (HEP/O)
Fotos: Andreas Mäteling


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