Massen fassen, Zwischenräume spielen lassen!

Kinästhetik in der (Heilerziehungs-)Pflege

Bewohner und Klienten bei der Mobilisation zu unterstützen gehört in unseren Praxiseinsätzen zum beruflichen Alltagsgeschäft. Aber über die dabei stattfindenden Abläufe denkt man bekanntlich nicht wirklich nach. „Machen“ steht oft an oberster Stelle. Wie wichtig es aber ist, diese Prozesse planvoll zu gestalten, das erfuhren wir, die HEP/U, am 25.01. in einem 90-minütigen Kinästhetik-Workshop mit dem Kinästhetik-Trainer Herrn Vermöhlen.

Am Anfang stand unsere Frage: Was überhaupt ist Kinästhetik?
Herr Vermöhlen stellte uns Kinästhetik als „Kunst der Bewegungswahrnehmung“ vor, die verschiedene Aktivitäten und Aspekte wie Interaktion, funktionale Anatomie, menschliche Bewegung, Anstrengung, menschliche Funktion sowie Umgebung beinhaltet. Jede Bewegung und jeder Transfer wird so gestaltet, dass der Klient dabei die Selbstkontrolle über das Geschehen hat. Das bedeutet, dass die gemachte Bewegungserfahrung nachvollzogen und der eigene Körper dabei als „wirksam“ erfahren werden kann. Das Heben und Tragen, wie man es früher in der Pflege oft gesehen hat, ist also out! Vielmehr soll die Bewegung von Klienten schonend unterstützt werden und die Motivation des Klienten durch die Kommunikation über Berührung und Bewegung deutlich verbessert werden.

Darüber hinaus soll Kinästhetik aber auch den Nutzen haben, die Gesundheit der Pflegenden zu erhalten. Zu nennen ist hier besonders die Rückengesundheit. Wir beschäftigten uns deshalb in unserem Workshop besonders mit der Aktivität „Funktionale Anatomie, Knochen und Muskeln“, um alles, was mit Mobilisation zu tun hat, zukünftig mit weniger Rückenbelastung planen und durchführen zu können. Schnell war allen klar, dass also nicht das Machen an oberster Stelle stehen sollte, sondern dass das planmäßige Vorgehen entscheidend ist. Dieses aber setzt überhaupt erstmal Kenntnisse in Sachen Anatomie und Physiologie des Bewegungsablaufes voraus, wie wir sie in unserem Workshop erwerben konnten. Leitfragen unserer Überlegungen waren: „Wie funktioniert das Aufstehen?“ und. „Wie helfe ich gemäß Kinästhetik beim Aufstehen?“

Zunächst wurde die alltägliche Aktivität „Das Aufstehen von einem Stuhl“ nachgebildet. Einem Menschen von einem Stuhl aufzuhelfen ist ein Arbeitsschritt von wenigen Sekunden. Doch dabei wird viel zu wenig auf die Auswirkungen für den Menschen und die eigene Belastung des Rückens geachtet – die Zeit steht leider immer im Vordergrund. Dabei sollten die Ressourcen des Menschen hinzugezogen werden, um nicht zuletzt den eigenen Rücken zu entlasten. Wie dies bestenfalls aussieht, das zeigte uns Herr Vermöhlen anschaulich in praktischen Übungen.

Anschließend fürhten wir unter anderem Gleichgewichtsübungen durch, um am eigenen Körper zu spüren, wie die Muskeln beansprucht werden.
Diese Übungen verliefen in vier Schritten:
1. Wir versuchten einige Minuten mit geschlossenen Augen das Gleichgewicht zu halten. → Dabei bemerkten wir Schwankungen des Körpers.
2. Wir neigten uns mit dem Körper nach vorne. → Dabei fiel uns auf: Je mehr der Körper nach vorne geneigt ist, desto mehr werden die Muskeln angespannt.
3. Wir bewegten unseren gesamten Körper. → Dabei bemerkten wir auch die Lockerung der Muskulatur.
4. Wir neigten uns erneut nach vorne und bewegten unseren gesamten Körper. → Diese Übung war für die meisten von uns fast unmöglich durchzuführen, da sich die Muskulatur anspannt und für derartige Bewegungen fast nicht mehr geeignet ist.

Bei der letzten Übung hatten wir die Aufgabe, einem Klienten aus dem Bett zu helfen und ihn auf einen Stuhl zu mobilisieren. Viele von uns probierten erstmal verschiedene Möglichkeiten aus und griffen dabei auf Erfahrungen aus den Praktika zuurück. Gemeinsam mit Herrn Vermöhlen entwickelten wir dann eine Möglichkeit, dieses nach kinästhetischen Prinzipien und somit unter Rückgriff auf physiologischer Abläufe so schonend wie möglich für alle Beteiligten zu tun und dabei vor allem unseren eigenen Rücken zu schonen. In Erinnerung bleiben wird uns von dieser Übung sicher auch das Motto: Massen fassen, Zwischenräume spielen lassen! Das heißt, dass über den Spielraum der Zwischenräume am Körper (Hals, Taille, Leiste, Schulter) die Mobilisation in einen harmonischen Bewegungsablauf der einzelnen Massen (Kopf, Brustkorb, Becken, Arme und Beine) aufgeteilt wird.

Am Ende der praktischen Übungen gab uns Herr Vermöhlen den Ratschlag, immer sensibel eigene Grenzen wahrzunehmen und diese nicht zu überschreiten.

Da es sich im Rahmen unseres Workshops „nur“ um ein Hineinschnuppern in die Arbeit nach kinästhetischen Prinzipien handelte, motivierte uns Herr Vermöhlen abschließend dazu, später doch vielleicht sogar mal einen mehrtägigen Grundkurs zu besuchen. Nachdem uns schon der Workshop so gut gefallen hat, könnten sich das viele von uns gut vorstellen.

Text: Katharina Trajz (HEP/U)
Fotos: Andreas Mäteling


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