Schüler altern auf Zeit

Seit dem Frühjahr besitzt unsere Liebfrauenschule ein Medium, das den etwas sperrigen Namen „Alters-Simulationsanzug“ trägt. Wie dieser sinnvoll im Unterricht eingesetzt wird, beschrieb die Journalistin Nina Meyer in den Niederrhein-Nachrichten.
(Im Folgenden drucken wir die Online –Version des Artikels, veröffentlicht unter www.nno.de)

Schüler altern auf Zeit
Alterssimulationsanzug bereichert den Unterricht am LFS-Berufskolleg

GELDERN. Das kann doch nicht so schwer sein. Den eigenen Namen schreiben – nichts leichter als das, oder? Der Kopf gibt den Befehl, doch die Hand macht nicht mit. Ein unkontrollierbares Zittern geht von der Schulter bis in den kleinen Finger, die Spitze des Kugelschreibers zuckt unablässig vom Papier hoch, an Schönschrift ist schon gar nicht zu denken. „So fühlt es sich an, wenn man einen Tremor hat“, erklärt Andreas Mäteling und dreht den Regler für den elektrischen Impulsgeber wieder auf Null. Das Zittern lässt augenblicklich nach, als die grauen Kunststoffhandschuhe mit der Verkabelung abgelegt sind, kribbelt es nur in den Oberarmmuskeln noch ein bisschen nach. Die Simulation ist beendet.
Der Tremor-Simulator macht deutlich, wie schwer es für Parkinson-Kranke ist zu schreiben. Die Spezialhandschuhe, die durch elektrische Impulse einen künstlichen Tremor erzeugen, gehören zu einem Alterssimulationsanzug. Das Berufskolleg der Gelderner Liebfrauenschule hat diesen vor einigen Wochen angeschafft, um seine Schüler noch besser auf ihre Berufe im Bereich der Pflege und Versorgung alter Menschen vorzubereiten. In den Klassen von Andreas Mäteling und Karin van Bonn haben die Sozialhelfer-Schüler dieses „Altern auf Zeit“ bereits erlebt. In den Osterferien beginnen sie ihr erstes Praktikum im Altenheim. Die neu gewonnen Erfahrungen sollen ihnen dabei helfen.

Total hilflos gefühlt
Nina Klinner hat den kompletten Anzug bereits getestet. Eine mindestens zehn Kilo schwere Weste, Gewichte an Beinen und Armen, Neoprenbandagen an Knien, Ellenbogen und Hals, Handschuhe, Brille und Kopfhörer lassen die junge Frau um mindestens 60 Jahre altern. „Ich habe mich total hilflos gefühlt“, erzählt sie. Der ganze Körper war schwerfällig, sie konnte nicht mehr hören, nur ganz langsam gehen und nicht mehr alleine Treppen steigen, weil sie schlicht die Stufen nicht mehr sah. Mit dem kompletten Alterssimulationsanzug kann Maren Ludolph nachfühlen, mit welchen körperlichen Einschränkungen alte Menschen leben müssen.
Auch Marcel Tkauc schlüpfte in die Haut eines „Greisen auf Zeit“. „Man wird schnell schlapp und fühlt sich ausgepowert“, erinnert er sich. Seine Mitschüler haben ähnliche Erfahrungen gemacht, fühlten sich hilflos, abhängig von anderen Menschen, aber auch traurig und wütend, wenn der Körper nicht so will wie der Kopf.
Karin van Bonn erklärt die Bedeutung des Anzugs für die Ausbildung: „Es ist ganz wichtig, dass die Schüler sich in die Lebenssituiation älterer Menschen einfühlen können.“ Ihr Kollege Andreas Mäteling ergänzt: „Dabei ist es ein großer Unterschied, ob man über die alterstypischen Einschränkungen spricht oder sie selbst nachempfindet.“ Die Selbsterfahrung hat bei den Schülern ein neues Bewusstsein geschaffen. Mäteling: „Sie können die Pflegemaßnahmen jetzt anders planen. Da kann es schon wichtig sein, dass man einem Parkinson-Kranken, der unter Tremor leidet, ein Wasserglas nur halbvoll gießt.“ Und Karin van Bonn macht ihren Schülern Mut: „Durch die Erfahrung sind Sie automatisch einfühlsamer geworden. Das werden die älteren Menschen im Umgang auch spüren.“

Text: Nina Meyer, Niederrhein-Nachrichten, Online-Ausgabe www.nno.de, 24. März 2012
Fotos: Nina Meyer, Ewald Hülk


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