Hinter Stacheldraht und hohen Mauern

Es war eine Exkursion in eine fremde Welt.
Schüler des Beruflichen Gymnasiums besuchten die Forensische Psychiatrie in Bedburg-Hau.

Am Montag, dem 11. Juli 2011, war es so weit. Wir, der Differenzierungskurs Gesundheits-wissenschaften der Jahrgangsstufe 11 unter Leitung von Herrn Mäteling, durften kurz vor den Sommerferien als erste Klasse überhaupt einen Blick hinter die Türen der Forensischen Psychiatrie der LVR-Klinik Bedburg-Hau wagen. Im Unterricht hatten wir uns vorher im Rahmen einer Unterrichtseinheit zur gesundheitlichen Situation der Bevölkerung mit dem Schwerpunkt Psychiatrische Erkrankungen mit verschiedenen Krankheitsbildern beschäftigt. Mit dem für uns neuen Spezialgebiet Forensik wollten wir uns nun vor Ort in Bedburg-Hau auseinandersetzen. Möglich gemacht hatte dies – und dafür noch mal ein herzliches Dankeschön! – der Vater unserer Mitschülerin Lea Stoffelen, der als Fachpfleger für Psychiatrie in der Klinik arbeitet.
Schon bei der Ankunft mit dem Zug wurden wir quasi noch am Bahnsteig vom Chefarzt der Forensik, Dr. med. Kreutz, persönlich empfangen.
Aber was ist nun eine Forensik?
Zunächst machten wir einen Rundgang durch die 4,5 ha große Anlage der forensischen Psychiatrie, die sehr weitläufig ist und verschiedene Häuser beherbergt. Es gibt Behand-lungshäuser für Drogen- und Alkoholabhängige, geistig Behinderte, Gewaltverbrecher (auch mit Tötungsdelikten), Kindesmisshandler, Brandstifter u.v.m. Sie werden in geschlossenen, halb-offenen und offenen Wohngruppen behandelt. Jedoch können beispielsweise keine Drogen- oder Alkoholabhängigen – zumindest am Anfang der Behandlung – in offenen Wohngruppen leben, da sonst laut Dr. Kreutz die Gefahr besteht, dass sie ihrer Sucht verfallen.
Beim gesamten Rundgang wirkte das hoch gesicherte Gelände mit all seinen Mauern und Stacheldrahtzäunen ziemlich bedrohlich auf uns. Gleichzeitig verschaffte es uns aber auch das Gefühl, dass die Sicherheit hier großgeschrieben wird.
Neben den genannten Gebäuden zeigte uns Dr. Kreutz noch das alte Bewahrhaus (das fast nicht mehr genutzt wird) sowie den eigenen Friedhof. Unser Hauptaugenmerk aber galt dem 2009 errichteten Neubau der Forensik.
Hierbei handelt es sich um einen der Trakte der forensischen Abteilungen der LVR-Klinik Bedburg-Hau, einer psychiatrischen Spezialeinrichtungen, in der Patienten untergebracht sind, die eine Straftat aufgrund einer schweren seelischen Erkrankung begangen haben, die dadurch als vermindert schuldfähig bzw. schuldunfähig eingestuft werden und per Gerichtsurteil eingewiesen werden. Aber auch Patienten, die aufgrund einer Suchterkrankung sowie einer mentalen Beeinträchtigung straffällig geworden sind, sind Patienten dieser Einrichtung.
Im Neubau angekommen wurden wir von Herrn Stoffelen herzlich begrüßt. Gemeinsam mit Dr. Kreutz und Herrn Stoffelen betraten wir, nachdem wir unsere Handys (sowie Waffen und Drogen☺) abgegeben hatten und durch einen Metalldetektor gehen mussten, durch den Besuchereingang den Neubau der forensischen Psychiatrie.
Dieser Neubau umfasst 110 Behandlungsräume sowie Musik-, Kunst- und Werkräume, eine Turnhalle und einen Multifunktionsraum für Gottesdienste und Feiern. Wie wir erfuhren, spielt Religion hier eine große Rolle, nicht aber in Abgrenzung der Religionen. „Man glaubt gemeinsam.“, so Dr. Kreutz. Christen, Russisch-Orthodoxe oder Muslime feiern hier häufig gemeinsam ihren Glauben an Gott. Den Patienten ist es laut Dr. Kreutz egal, welche Religion jemand hat, man erfreut sich einfach an einer gemeinsamen religiösen Feier.
Außerdem beinhaltet der Neubau vier verschiedene forensische Abteilungen. In diesen werden die Patienten krankheits- sowie deliktspezifisch behandelt. Darüber hinaus sollte erwähnt werden, dass die Behandlungen der Patienten immer individuell angepasst werden und keinem Patienten eine Behandlung aufgezwungen werden kann. Falls ein Patient mit einer Behandlung nicht einverstanden ist, muss er diese auch nicht ausführen, jedoch wird darauf geachtet, dass der Patient nicht das Umfeld gefährdet.
„Die Hauptwaffe des Pflegers ist die Kommunikation!“
Eine wichtige Frage, die gestellt wurde, war die, wie sich die Pflegenden gegen die Patienten wehren können, wenn diese gewalttätig werden. Zur Einordnung der Größenordung, über die wir hier sprechen, brachte Dr. Kreutz folgenden Vergleich: „Pro Jahr stirbt in Deutschland ein Pfleger in einer Psychiatrie, pro Tag stirbt ein Bauarbeiter auf einer Baustelle. Dieser große Unterschied entsteht daraus, dass psychiatrische Einrichtungen auf Sicherheit ausgerichtet sind und das Vorurteil, dass die Forensik gefährlich sein soll, ist so nicht richtig.“
„Die Hauptwaffe des Pflegers ist die Kommunikation“, so die gemeinsame Antwort von Dr. Kreutz und Herrn Stoffelen. Diese Kommunikation ist sein Schutz, doch für den Fall, dass diese keine Wirkung zeigt, haben die Pflegenden im Rahmen von Fortbildungen Techniken der Selbstverteidigung erlernt, die im Notfall angewendet werden sollten. Ansonsten wird die Polizei gerufen.
Nicht verschwiegen wurde aber auch, dass Pflegende selber ein erhöhtes Risiko haben, im Rahmen der schweren pflegerischen Arbeit in einer Forensik zu erkranken. Sie leiden dann an psychosomatischen Krankheiten oder Suchtkrankheiten. Doch dagegen hilft, so Herr Stoffelen, unter anderem die gute Teamstabilität, die unter den Arbeitskollegen herrsche und die daraus erwachsende Kraft für alle Beteiligten. Zusätzlich ist immer ein Psychologe vor Ort, mit dem sie Zeit finden, über das Geschehene zu reden. Doch man kann nicht sagen, dass Jüngere bessere Chancen haben wieder gesund zu werden, da es nicht am Alter festzumachen ist.
Natürlich kann es auch mal sein, dass die „Harmonie“ zwischen Patienten und Pflegern nicht stimmt. Für diesen Fall wird ein Wechsel innerhalb der Bezugspflege vorgenommen, um die Pflegekraft zu entlasten.
Sehr wichtig ist bei der pflegerischen Arbeit in einer Forensik das so genannte Nähe-Distanz-Verhältnis. Das ist sehr schwierig zu dosieren, denn wenn man die Geschichten der Patienten zu nah an die eigene Person ran lässt, scheitert man und „geht dran kaputt“. Andersherum, wenn man sich zu sehr von den Patienten entfernt, hat man keine Beziehung zu ihnen und dann ist die Behandlung ineffektiv, denn die wichtigste Frage lautet: „Wie geht es Ihnen?“ An dieser Frage merkt der Patient, dass sich jemand für ihn interessiert.
Um ausgeglichen zu sein, brauchen Pflegende ein Hobby. Sei es die Familie, mit dem Hund spazieren gehen oder schwimmen. Sonst „schlaucht“ der Beruf einen und man kann nicht abschalten, wenn man zu Hause ist. Selbstverständlich passiert auch mal etwas, was man auch mit nach Hause nimmt und was noch „verdaut“ werden muss, so Herr Stoffelen in seinen interessanten Ausführungen zur Belastungssituation von Pflegenden in der Forensik.
Die Gruppe, in der der Patient seine Therapie erhält, ist eine weitere große Hilfe – nicht nur für den Patienten, sondern auch für das forensische Team. Hier passen alle gegenseitig aufeinander auf. Wie hier deutlich wird, wird ein großer Wert auf einen respektvollen Umgang gelegt. So werden zudem Rahmenbedingungen geschaffen, wie sie im späteren Leben au-ßerhalb der Forensik wichtig sind.
In der Forensik ist nichts unmöglich, deshalb kann man dort sogar heiraten und auch Pizza bestellen, wobei die Pflegenden zuvor einen vertrauensvollen Lieferanten ausfindig gemacht haben. Auch das Telefonieren ist möglich, doch ankommende Anrufe werden über das Pflegedienstzimmer zu den Patienten geleitet. Auch hier wieder spielt die Sicherheit eine große Rolle, denn so können keine Geschäfte gemacht oder etwas in die Forensik hinein ge-schmuggelt werden. Sogar Haustiere können gehalten werden, jedoch nur Fische oder Vögel. Einige Patienten haben dieses Angebot gerne angenommen, wie wir beim Rundgang über eine Station und dem mit Einverständnis einiger Patienten vorgenommen Blick in die Zimmer feststellen konnten.
Aber wie sieht eigentlich der Tagesablauf in der Forensik aus?
Wie in jeder psychiatrischen Einrichtung gibt es auch in der Forensik bestimmte Tagesabläufe, die den Alltag der Patienten und auch der Mitarbeiter regeln.
Hier ein Beispiel für einen typischen Tagesablauf:
Aufstehen: 6.30 Uhr
Küchenbenutzung: bis 20.00 Uhr
Einschließung: 21.00 Uhr (ab dann ist nur noch eine Pflegekraft anwesen)
Über die Festlegung von Zeiten hinaus gibt es klare Regeln für die Benutzung des Fernsehraumes, des Gemeinschaftsraumes, des Gemeinschaftsbades, des Raucherraumes, des Gemeinschaftscomputers u.a. Durch diese Regeln bekommen die Patienten einen strukturierten Alltag. Aber auch Besuche der Familie und Freunde der Patienten sind erlaubt (bis zu zwei- bis dreimal pro Woche).
Natürlich sind die regelmäßigen Therapiemaßnahmen im Alltag fest integriert. Zum Behand-lungsangebot zählen psychopharmakologische Behandlungsverfahren, Psychotherapie, So-ziotherapie, Milieutherapie, Kreativtherapie, Ergotherapie (in die Therapieräume durften wir auch „hineinschnuppern“), Psychoedukation, lebenspraktisches Training und schulische Förderungen.
Damit dieses Behandlungsangebot auch durchgeführt werden kann, arbeiten Ergotherapeuten, Lehrer, Psychotherapeuten, Krankenpfleger und Ärzte in der Forensik. Darüber hinaus hat die Einrichtung Kontakt zu Hochschulen, wo man u.a. den so genannten Bachelor of Nursing erwerben kann. Engagierte Auszubildende sind gerne gesehen – diese Botschaft nahmen wir natürlich gerne auf!
Abschließend können wir sagen, dass die Forensische Psychiatrie der LVR-Klinik Bedburg-Hau einen guten Eindruck bei uns hinterlassen hat. Der angenehme, menschliche und res-pektvolle Umgang der Patienten und Mitarbeiter – wie er uns geschildert wurde – ist in solch einer therapeutischen Einrichtung bestimmt schöner als der Umgang in einem Gefängnis. Viele der Patienten, die uns an diesem Tag begegnet sind, hätten in unseren Augen auch Mitarbeiter sein können, da sie, wie Dr. Kreutz bereits am Anfang unserer Exkursion sagte, „bis auf ihre Erkrankung Menschen wie du und ich sind“.
Das einzige, was uns dann doch einmal verdeutlicht hat, dass es sich hier um eine Forensische Psychiatrie handelt, waren die kleinen Zimmer der Patienten und die dazugehörigen dicken, massiv gesicherten und dadurch erschreckend wirkenden Türen der Patientenzimmer. Bei der Zimmereinrichtung war sonst nur auffällig, dass alle großen, schweren Möbel-stücke festgeschraubt sind, damit die Türen nicht eingeschlagen werden können, was einmal beinahe der Fall gewesen wäre.
Nach diesem tollen und vor allem interessanten Besuch der Forensik sind wir um einige Informationen und Eindrücke reicher. Dies gilt sowohl bezogen auf das Thema Forensik als Spezialgebiet der Psychiatrie, als auch bezogen auf die vielen verschiedenen Berufsgruppen, die in der Forensik tätig sind, und von deren Aufgabenfeld und Zugangsvoraussetzung wir ganz nebenbei eine Menge erfuhren. Vielleicht hat dieser Besuch sogar für die Berufswahl der einen oder anderen Mitschülerin von uns Folgen.

Text: Pia Hermann und Kristina Crom (jetzt AH/12S2)
Fotos: Andreas Mäteling


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