Schulministerin Löhrmann stellt sich den Fragen der LFS

Seit dem Regierungswechsel in Nordrhein-Westfalen im vergangenen Jahr heißt die neue Ministerin für Schule und Weiterbildung des Landes NRW Sylvia Löhrmann. Seit Juli 2010 übt sie dieses Amt aus. Gleichzeitig ist sie stellvertretende Ministerpräsidentin unseres Bundeslandes. Für das Jahrbuch 2010/2011 stellte sich die neue „Schulministerin“ den Fragen von Ewald Hülk.

Frau Ministerin, Sie haben das katholische Mädchengymnasium Beatae Mariae Virginis, das BMV, in Essen besucht und dort Ihr Abi gemacht. Wie hat dieses kirchliche Gymnasium Sie geprägt?
Ich komme aus einem katholischen Elternhaus, und das katholische Gymnasium hat mich durchaus in bestimmten Wertvorstellungen geprägt, wie zum Beispiel der Nächstenliebe oder der Achtung vor der Schöpfung. Mein Religionslehrer sagte zum Beispiel sinngemäß: „Ob das mit dem Schnellen Brüter in Kalkar und der Schöpfung alles so im Einklang ist?“ Das hat mich damals beschäftigt und „grüne“ Wurzeln gelegt. Und ich habe in der Schule früh erfahren, dass Frauen in Führungspositionen, wie etwa als Schulleiterin, nichts Ungewöhnliches sind.

Was für ein Schülerinnentyp waren Sie?
Ich bin immer gern zur Schule gegangen und habe gern gelernt. Und dafür, dort auch mein Abi zu machen, habe ich zu Hause sehr gekämpft. Wir sind damals aus Essen nach Witten-Herbede gezogen, aber ich wollte unbedingt weiter zur BMV gehen. Dafür habe ich dann täglich, einschließlich samstags, einen zweistündigen Anfahrtsweg auf mich genommen – und dann kam der Rückweg noch dazu. Ich musste also sehr früh los und kam immer erst am späten Nachmittag nach Hause. Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, kann ich sehr ausdauernd und beharrlich sein.

Haben Sie oft Ihre Hausaufgaben nicht gemacht? Hatten Sie Angst vor Klassenarbeiten und Prüfungen? Haben Sie bei Klassenarbeiten auch mal gepfuscht?
Zweimal nein – einmal ja. Irgendwie war mir offenbar bewusst, dass ich schon in erster Linie für mich lerne, also habe ich in der Regel meine Hausaufgaben gemacht und auch nicht gepfuscht. Klar, ich hatte Angst vor Arbeiten und Prüfungen. Für meine Leistungen musste ich hart arbeiten, ich war keine Überfliegerin.

11 Jahre waren Sie Lehrerin an einer Gesamtschule in Solingen. Wie wichtig waren Ihnen dort die Belange der Schülerinnen und Schüler? Wurden Sie dort zum Beispiel zur SV-Lehrerin gewählt?
Kinder und Jugendliche insgesamt in den Blick zu nehmen, gehörte für mich immer zur Rolle der Lehrerin dazu. Ich war immer Klassen- oder Beratungslehrerin und habe die Erziehungsfunktion angenommen.

An welche der vielfältigen Belastungen von Lehrerinnen und Lehrern erinnern Sie sich besonders?
Die vielen Korrekturen, die die Fächer Englisch und Deutsch mit sich bringen.

Haben Sie auch heute noch Kontakt zu Ihren ehemaligen Kolleginnen und Kollegen, und wenn ja, wie wichtig ist Ihnen deren Meinung zu schulpolitischen Fragen?
Ja, mit manchen früheren Kolleginnen und Kollegen bin ich befreundet und freue mich über ihre Rückmeldungen.

Nach dem Regierungswechsel legten insbesondere auch Sie Wert auf einen landesweiten Schulkonsens. Glauben Sie, dass dieser erreichbar ist, wenn zuallererst zahlreiche, von der Vorgängerregierung geschaffene Reformen, wie zum Beispiel die Kopfnoten, einfach wieder abgeschafft werden?
Das sind verschiedene Bereiche. Beim Thema Schulkonsens arbeiten wir daran, in möglichst großer Übereinstimmung Antworten auf die drängenden Fragen zu finden: Wie können Kommunen angesichts zurückgehender Schülerzahlen ein attraktives Schulangebot vor Ort aufrechterhalten? Wie kann es gelingen, dass der Bildungserfolg nicht mehr so stark von der sozialen Herkunft abhängt? Wie können wir mehr Bildungsgerechtigkeit und bessere Leistungen in der Spitze und auch in der Breite erreichen?
Beim Thema Kopfnoten geht es letztlich um die Frage, wie eine vernünftige Rückmeldekultur an den Schulen aussieht. Ich glaube nicht, dass sich das Arbeits- und Sozialverhalten von Schülerinnen und Schülern in Ziffernoten ausdrücken lässt. Die Schulen haben zudem nach wie vor die Möglichkeit, auf den Zeugnissen Aussagen zum Arbeits- und Sozialverhalten zu treffen. Eine beschreibende Form sagt darüber sicher deutlich mehr aus als Ziffernoten.
Mir geht es nicht darum, alles, was in der vergangenen Legislaturperiode eingeführt wurde, einfach rückgängig zu machen. Viele Bereiche, wie der Ausbau des Ganztags, die individuelle Förderung, sogar die Verkürzung der Schulzeit sind im Grundsatz unumstritten. Hier setzen wir vieles aus der vorangegangenen Legislaturperiode fort, wie übrigens auch die letzte Landesregierung nach 2005 vieles von Rot-Grün weitergeführt hat. Ich denke da zum Beispiel an die vorschulische Sprachförderung. Es gibt viel mehr Gemeinsamkeiten als häufig dargestellt.

Die kürzlich veröffentlichten Zahlen des Statistischen Landesamtes in NRW zeigen, dass der „Run“ auf die Privatschulen weiter zunimmt, während die Gesamtschüleranzahl in NRW zurückgeht. Liegt der anhaltend große Zuspruch daran, dass Eltern und Schüler meinen, dass dort eine gute, vielleicht sogar bessere Arbeit geleistet wird?
Aus meiner Erfahrung heraus lassen sich Eltern und Kinder bei der Schulwahl von mehreren Kriterien leiten. Die Annahme, dass dort gute Arbeit geleistet wird, ist sicher eine der wichtigsten. Einen „Run“ auf Privatschulen zeigt die Statistik allerdings nicht: Der Anteil der Schülerinnen und Schüler an privaten Ersatzschulen ist seit 1990 um 1,3 Prozentpunkte gestiegen, an Gymnasium oder Berufskolleg ist er in diesem Zeitraum praktisch unverändert geblieben. Ich glaube nicht, dass die Qualität der schulischen Arbeit davon abhängt, ob sich eine Schule in öffentlicher oder privater Trägerschaft befindet. Auch wissenschaftliche Leistungsvergleiche finden dafür keinen Beleg. Allerdings: Bestimmte Schwerpunkte, wie etwa bei freien Waldorfschulen und auch konfessionellen Schulen, können Schulen in öffentlicher Trägerschaft nicht bieten. Für Eltern, die eine solche Ausrichtung der Schule wünschen, sind die privaten Ersatzschulen eben eine entsprechende Alternative. Ich habe aber den Ehrgeiz, dass das öffentliche Schulwesen vielfältig ist und mithalten kann.

Welche Bedeutung messen Sie Schulen in kirchlicher Trägerschaft bei?
Die Bedeutung der Ersatzschulen in kirchlicher Trägerschaft für NRW zeigt sich allein schon an ihrer Zahl: Ersatzschulträger sind zu 38% die katholische und zu 22% die evangelische Kirche, zusammen machen sie 60 % der Ersatzschulen aus. Rund die Hälfte der Berufskollegs und Förderberufskollegs in freier Trägerschaft sind konfessionell geprägt. Die Ausrichtung an christlichen Werten ist eine wesentliche Grundlage unserer Gesellschaft, ohne andere Religionen auszuschließen oder zu missachten.
Ersatzschulen als Schulen in freier Trägerschaft stellen die zweite Säule des Schulwesens in NRW dar. Sie leisten wertvolle pädagogische Erziehungsarbeit und geben Impulse. Schulen in freier Trägerschaft ergänzen und bereichern das staatliche Schulwesen. Sie sind geprägt von ihren spezifischen Bildungs- und Erziehungszielen und Besonderheiten in der Unterrichtsgestaltung einschließlich ihrer größeren organisatorischen Selbstständigkeit. Kirchliche Schulen sind ein wesentlicher Bestandteil der bunten und vielfältigen Ersatzschullandschaft mit ihrem ganzheitlichen Bildungsverständnis und der Vermittlung der Bedeutung des Glaubens.

Viele Berufskollegs beklagen, dass die Schülerzahlen in Bildungsgängen aus den Bereichen Ernährung und Hauswirtschaft abnehmen. Betriebe und Einrichtungen sind jedoch auf qualifizierte Schulabgänger aus diesem Bereich angewiesen und teilen diese Sorge. Wie ist aus Ihrer Sicht das schwindende Interesse zu stoppen?
Die Entwicklung der Schülerzahlen in den Berufskollegs wird durch eine Vielzahl von Faktoren bestimmt, nicht auf alle können wir Einfluss nehmen. Dazu zählen zum Beispiel konjunkturelle Entwicklungen, Strukturänderungen in der Wirtschaft, aber auch regionale Entwicklungen und nicht zuletzt die Demographie. So ist beispielsweise vom Schuljahr 2009/10 zum Schuljahr 2010/11 die Zahl der Schülerinnen und Schüler im Berufskolleg insgesamt um 1,5 % gesunken. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler in den Bildungsgängen aus den Bereichen Ernährung und Hauswirtschaft ist im selben Zeitraum um 2,3% gesunken. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler aus dem Bereich Ernährung und Hauswirtschaft ist demnach zwar zurückgegangen, allerdings ist daraus noch keine dramatische Entwicklung ableitbar. In den Fachklassen des dualen Systems ist die Schülerzahl sogar nahezu unverändert geblieben.
Mit der Einführung des vollzeitschulischen Bildungsgangs „Staatlich geprüfte Servicekraft“ gibt es nun von schulischer Seite eine attraktive Qualifizierung. Von besonderer Bedeutung ist aber auch die Frage des regionalen Arbeitsmarktes. Hier bedarf es einer regional mit den ortsnahen Betrieben und Kammern abgestimmten Beratung der aus der Sekundarstufe I abgehenden Schülerinnen und Schüler. Die konkrete Chance auf einen Arbeitsplatz und vielleicht auch Zusage bei erfolgreichem Abschluss dürfte viele motivieren, ein arbeitsmarktgerechtes Bildungsangebot wahrzunehmen.

Sie sprechen den Bildungsgang staatlich geprüfte Servicekraft an. Warum wird dieser denn in NRW immer noch nur als Schulversuch geführt?
Der Landesausschuss für Berufsbildung hat im November der Einführung des Bildungsgangs „Staatlich geprüfte Servicekraft“ zugestimmt. Bei der nächsten Änderung der Ausbildungs- und Prüfungsordnung wird der Bildungsgang nun als regulärer Bildungsgang aufgenommen. Bis zu diesem Zeitpunkt können die bisher teilnehmenden Berufskollegs, zu denen auch die Liebfrauenschule Geldern gehört, den Bildungsgang als Schulversuch weiterführen. An dieser Stelle möchte ich der Liebfrauenschule Geldern für die Mitarbeit in dem Schulversuch ausdrücklich Dank sagen!

Sind weitere zentrale Prüfungen in den Berufskollegs geplant?
Nein, derzeit sind keine weiteren zentralen Prüfungen im Berufskolleg geplant.

Eine letzte, zugegebenermaßen hypothetische Frage, Frau Ministerin: Wenn Sie nach mehreren Regierungsjahren eine Schullandschaft nach Ihren Vorstellungen geschaffen haben, müsste es Sie da nicht reizen, noch einmal zurück in den Schuldienst zu gehen?
Ich habe meinen Beruf als Lehrerin sehr gern ausgeübt, und ich weiß auch: politische Ämter sind Ämter auf Zeit. Aber welche Aufgaben in Zukunft auf mich warten, wird letztlich erst die Zukunft zeigen.

Interview: Ewald Hülk
Foto: MSW


Hinterlasse einen Kommentar