Vis-à-vis mit Queen Mary

Die HEP/B, neun Heilerziehungspflegerinnen im berufspraktischen und somit letzten Jahr ihrer Fachschulausbildung, war vom 23. bis 27. Mai in Begleitung von Frau Niels und ihrem Klassenlehrer Herrn Mäteling auf „großer“ Fahrt nach Hamburg. Ganz so groß wie die der Passagiere auf der Queen Mary 2 – die wir bei ihrer Ausfahrt aus dem Hamburger Hafen erleben durften – war sie dann leider doch nicht, aber erlebnisreich allemal. Und dazu hat vor allem LMBHH (Elternverein Leben mit Behinderung Hamburg) einen großen Beitrag geleistet.

Am Abend unserer Ankunft starteten wir mit einem geführten Stadtrundgang, der an historischen Plätzen begann und uns über die Speicherstadt in die neu errichtete Hafencity führte, zu der uns unser Stadtführer atemberaubende Fakten liefern konnte, z.B. den Preis für die teuerste Wohnung und auch die Differenz zwischen der ursprünglich geplanten Bausumme von 186 Millionen Euro und der mittlerweile erreichten Summe von 560 Millionen Euro für die noch nicht fertig gestellte Elbphilharmonie.

Der erste Tag in Hamburg begann dann mit der für uns ersten Begegnung mit einem LMBHH-Projekt, namentlich dem integrativen Theaterprojekt Eisenhans in Kooperation des Thalia-Theaters mit LMBHH. Der langjährige Aktive Lukas führte uns mit einem selbst gedrehten Film eindrucksvoll die Begeisterung der mitwirkenden jugendlichen Schauspieler mit Behinderungen und die der Theaterpädagogen während der Probenarbeiten und Aufführungen vor Augen. Ein intensiver Einblick wurde uns vor allem in die aktuelle Arbeit zum Thema Ich-Identität ermöglicht. Aber das sollte nicht alles gewesen sein. Hervorgegangen aus diesem Projekt ist mittlerweile auch eine Band von Menschen mit Behinderungen, in der der genannte Lukas, unser Referent des heutigen Vormittags, als Sänger aktiv ist. „Bitte lächeln!“ – so der Bandnahme – unbedingt anhören auf youtube! Sehr Empfehlenswert! Ein möglicher Auftritt in der Region Niederrhein erschien allen so erstrebenswert, dass bei unserem Besuch entsprechende Kontaktdaten zwecks weiterer Planung ausgetauscht wurden.

Eine besondere Erfahrung am Nachmittag war dann der Besuch von „Dialog im Dunkeln“, wo wir von einem blinden Menschen durch völlig abgedunkelte Räume mit Düften, Wind, unterschiedlichen Temperaturen, Klängen und Tönen, durch Parklandschaften und über Straßen in „befahrenen“ Großstädten geführt wurden, und den 90minüten Rundgang an einer Bar – immer noch völlig abgedunkelt – beendeten. Auf der Homepage heißt es treffend „ Ein Rollentausch findet statt: Sehende Menschen werden herausgelöst aus sozialer Routine und gewohnter Rezeption. Blinde Menschen sichern Orientierung und Mobilität und werden zu Botschaftern einer Kultur ohne Bilder.“ (http://www.dialog-im-dunkeln.de/). Nicht wenige von uns hatten zu Beginn wackelige Knie, alle waren wir aber am Ende froh, „durchgehalten“ zu haben, um diese besondere Erfahrung machen zu können
Am zweiten Tag besuchten wir die Werkräume des Berufsqualifizierungsprojekts Feinwerk für Menschen mit schweren Behinderungen. Dieses Projekt wurde auf der „Werkstätten: messe 2010“ mit dem Bildungspreis exzellent: Bildung der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen ausgezeichnet. Neben der Teilnahme an der Morgenrunde – inklusive Begrüßungslied, bei dem Mitarbeiter und Beschäftigte gleichermaßen „schmetterten“ (und beim Refrain auch einige von uns) – wurde uns die Besichtigung der Werkräume in den verschiedenen Arbeitsbereichen und die der Arbeitsprozesse ermöglicht, die uns darüber hinaus noch ausführlich erläutert wurden. Ein sehr lohnenswerter Einblick in ein aus heilerziehungspflegerischer Sicht zweifellos auszeichnungswürdiges Projekt, so das einstimmige Urteil der HEP/B. Näheres hierzu auf www.lmbhh.de

Direkt im Anschluss ließen wir uns dann noch das Konzept der Wohnschule vorstellen. Die Wohnschule möchte eine Starthilfe geben, mit der man sich auf ein Leben in der eigenen Wohnung vorbereiten kann. Die Wohnschule dauert ein halbes Jahr. Einmal in der Woche, im wöchentlichen Wechsel (in einer Woche samstags, in der anderen Woche werktags), treffen sich 6-8 Teilnehmer für zweieinhalb bis vier Stunden um sich unter anderem mit folgenden Fragen zu beschäftigen: Wie komme ich zu einer eigenen Wohnung? Was sind Verträge und was mache ich damit? Wie halte ich meine Wohnung sauber? Wie teile ich mein Geld ein?
Bei aller fachlichen Bildung kam aber auch die kulturelle Bildung nicht zu kurz. Am zweiten Abend besuchten wir dann das Musical Tarzan. Abenteuerlich ging es an diesem Abend mit einem Besuch in der Olivia-Jones-Bar weiter. Details über den weiteren Verlauf sind nur bei den Mitreisenden zu erfragen…
Unser fachliches Programm endete am Donnerstag mit einer Besichtigung der Galerie „Die Schlumper“, einer Ateliergemeinschaft im Schatten des Millerntores, in der Menschen mit geistigen und psychischen Behinderungen arbeiten, die im gesamten Stadtgebiet von Hamburg in betreuten Wohneinrichtungen leben und hier im Atelier die Chance haben, ihre besondere Begabung beruflich einzusetzen. „Normalität für das Außergewöhnliche (herzustellen, d.V.)“ (Günther Gercken), dies ist eines der zentralen Anliegen der Ateliergemeinschaft, zu der man Näheres auf www.schlumper.de nachlesen sollte.
Den krönenden Abschluss unserer Fahrt bildete dann am letzten Abend das Erleben der Queen Mary 2 bei ihrer von imposantem Feuerwerk begleiteten Ausfahrt aus dem Hamburger Hafen. Unsere Abreise am kommenden Tag war dann zugegebenermaßen weniger spektakulär.

Text: Andreas Mäteling
Fotos: Patricia Heek, Andreas Mäteling, Anna-Lena Winschuh


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