Das Recht auf die 2. und 3. Chance

20 Jahre lange hatte sich Pfarrer Paus auf eine Stelle in der Gefängnisseelsorge beworben und vor zwei Jahren hat es dann endlich geklappt. Seitdem ist er Gefängnisseelsorger in der JVA Geldern-Pont. Nach dem 90minütigen Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern der FH/12E war allen klar, weshalb er sich für diesen „Traumberuf“ so eingesetzt hat: Die Arbeit mit Strafgefangenen bedeutet „Pfarrersein mit 99 Prozent tatsächlicher Seelsorge nah am Menschen“ – genau dies ist ihm ein Herzensanliegen.

Mehrere Wochen hatten sich die Schülerinnen und Schüler der FH12/E mit den verschiedenen Facetten des Themas „Schuld und Versöhnung“ auseinandergesetzt. Dabei kam immer wieder die Frage auf, was Würde angesichts von Schuld bedeutet und wie Vergebung und Annahme gelingen kann. Um aus erster Hand zu erfahren, wie ein Gefängnisseelsorger damit umgeht, lud die FH12/E Pfarrer Paus in den Unterricht ein.

Mit einigen Daten zur Einrichtung und zu den Insassen der JVA Geldern-Pont, bei der es sich um eine Einrichtung im geschlossenen Vollzug mit der höchsten Sicherheitsstufe handelt, leitete Pfarrer Paus das Gespräch ein: 720 männliche Straftäter, darunter wegen Mordes, Totschlags, Vergewaltigung und Mafia-Mitgliedschaft Verurteilte, sitzen im Gefängnis ein, keine weiblichen („Statistisch gesehen sind Frauen auch viel lieber“, so Pfarrer Paus). Der jüngste Insasse ist 21 Jahre alt, der älteste 76 Jahre. Die längste „Verweildauer“ beträgt 31 Jahre. Die Zellen sind zwischen sieben und neun Quadratmeter groß, mit je ein bis zwei Betten, zwei Stühlen, einem Schrank, einem Waschbecken und einem frei im Raum stehenden Klo ausgestattet.

Das anfänglich bei vielen noch vorhandene Vorurteil, wonach ein Leben im Knast in Deutschland doch recht luxuriös sei, musste spätestens nach dem detaillierten Einblick in den Alltag der Gefangenen beiseite gelegt werden. Als Pfarrer Paus das Päckchen Wäsche präsentierte, das die Gefangenen bei der Einlieferung bekommen, sah man in erschrockene Gesichter der Schülerinnen und Schüler. „Die Anzahl der Unterhosen reicht ja nicht einmal für einen täglichen Wechsel. Jeder normale Mensch weiß doch, dass man täglich eine frische Unterhose anzieht!“, so die Stimme einer Schülerin. Es entwickelte sich daraufhin ein engagiertes Gespräch über die allgemeine Motivation und Sinnhaftigkeit von verschiedenen Strafen und Strafmaßen, was zuvor im Unterricht theoretisch besprochen wurde (Vergeltung, Resozialisierung usw.).

In einem persönlichen Credo machte Pfarrer Paus deutlich, dass er die Taten der Gefangenen nicht akzeptieren kann, den Täter aber als Mensch annimmt und akzeptiert. Ein Mensch dürfe niemals auf seine Tat reduziert werden. Mit dieser Grundeinstellung geht Pfarrer Paus in die vielen Gespräche mit den Gefangenen, in denen er, wie er mitteilte, häufig Dinge erfährt, mit denen auch ein Seelsorger oft nur schwer umgehen kann. Häufig betrifft dies auch die oftmals schockierenden Kindheitsberichte der Gefangenen, die er aber keinesfalls als Entschuldigung für Straftaten anführen möchte, sondern vielmehr als Erklärungsversuch. „Ich habe aufgehört, von Schuld zu sprechen, seitdem ich hier arbeite. Es ist einfach schwierig von Schuld zu sprechen, wenn man die Familiengeschichten der Gefangenen hört“, so resümiert Pfarrer Paus angesichts der oben genannten Umstände.

Vielen Tätern sei es ein großes Anliegen, ihre Tat aufzuarbeiten und sich der „Schuld“ zu stellen. Seine Aufgabe als Seelsorger sei es dann, Raum für Gespräche zu schaffen, in denen dies geschehen kann. Mit Blick in die Zukunft des Gefangenen verfolgt Pfarrer Paus das Ziel, mit dem Gefangenen Perspektiven zu eröffnen („Perspektiven schaffen heißt Rückfälle reduzieren!“) und eine Möglichkeit zum Neuanfang zu schaffen. „Ich glaube, jeder Mensch hat das Recht auf eine zweite oder dritte Chance“, so Pfarrer Paus, verschweigt dabei aber auch nicht sein Verständnis für den aus seiner Sicht berechtigten Strafwunsch der Opfer.

Neben intensiven Einzel- und Gruppengesprächen gehören zu den seelsorgerlichen Aufgaben auch Einzelgottesdienste, Beichten, ca. ein bis zwei Erwachsenentaufen pro Jahr sowie die Wiederherstellung von sozialen Bindungen zu Verwandten und Freunden und somit die Kontaktaufnahme zu Personen, die nach Haftantritt des Gefangenen den Kontakt abgebrochen hatten.

„Ich bin zwar abends hundemüde, aber total zufrieden.“, so beschloss Pfarrer Paus seine Antwort auf die Frage einer Schülerin, wie es ihm nach getaner Arbeit geht. Genau diesen zufriedenen Eindruck hinterließ er auch bei der Zuhörerschaft, die von dieser Art des gelebten Glaubens und somit für die Würde des Menschen auch in den Extremsituationen des Lebens sehr beeindruckt war.

Text: Andreas Mäteling
Titelbild: de.wikipedia.org/wiki/Justizvollzugsanstalt_G…
übrige Fotos: Andreas Mäteling


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