Die Botschaft: Nicht wegschauen

Das Neue Tendenz-Theater gastierte mit einem dokumentarischen Theaterstück gegen rechte Gesinnung: „Rostock-Lichtenhagen: Tage der Gewalt“

„Die Botschaft: Nicht wegschauen!“

Parolen, Krawalle, fliegende Steine und nicht zuletzt der Versuch, Häuser und die Menschen darin „abzufackeln“. Weiter in der Besetzung: hilflose Polizisten, fassungslose und passive Politiker, Deutsche, die nicht mehr wissen, was sie denken sollen sowie entsetzte Ausländer, Zuschauer und stolze rechtsradikale Jugendliche. Klingt wie ein Drehbuch aus Hollywood, war aber grausame Realität in einem frisch wiedervereinten Deutschland.

22. bis 25. August 1992; Stichwort Rostock-Lichtenhagen – drei Tage, die vielen Deutschen in Erinnerung bleiben und uns, den Schülern der Liebfrauenschule, in einem Theaterstück nahe gebracht wurden.

„Kein schöner Land. Rostock-Lichtenhagen: Tage der Gewalt“, so der Titel des Stücks. Zum zweiten Mal gastierte bei uns das Neue Tendenz Theater (NTT) aus Köln, welches zwei Jahre zuvor schon das Stück „DU bist das Volk“ präsentiert hatte.

Die Journalistin Julia Scholz will einen Artikel über die rechte Szene schreiben und nimmt dazu Kontakt zu einem jungen Neonazi namens Chris auf. Was zunächst ein normales Interview bleibt, entwickelt sich zu einem beklemmenden Erlebnis der Pogrome von Rostock-Lichtenhagen. Die junge Journalistin ist hautnah dabei, wie die angespannte und vor allem gewaltgeschwängerte Situation eskaliert. Nicht immer bleibt sie ihrer objektiven journalistischen Rolle treu, will sie doch den zum Teil wahnerfüllten Chris in eine andere Richtung lenken. Beide sind sich ihrer Rolle nicht immer ganz sicher, mal geplagt von Schuldgefühlen, mal hin- und hergerissen zwischen Menschlichkeit und purem Gedanken daran, sich durch Erfolg zu profilieren.

„Kein schöner Land“ will sowohl einen Einblick in die Täterpsychologie eines rechtsradikalen Jugendlichen geben und Hintergründe erläutern, als auch Fakten und das fremdenfeindliche Verhalten der Beifall klatschenden Bürger rund um die Ereignisse von Rostock-Lichtenhagen aufzeigen. Dies wird geradezu minimalistisch umgesetzt. Die Dialoge sind klar und charakterstark, was nicht zuletzt durch die gelungene Besetzung (Julia Scholz: Claudia Brasse; Chris: Jens Spörckmann) unterstrichen wird. Der Zuschauer wird eindrucksvoll gefesselt von einer nahezu beängstigenden Atmosphäre, gekoppelt mit der unglaublichen Tatsache, dass ein Kapitel deutscher Zeitgeschichte vermittelt wird.

Das Stück endet aber nicht mit dem Ende der Gewalteskalation am 25. August ´92. Zehn Jahre später treffen sich Chris, nun ein Parteimitglied und kurz davor, in den Landtag einzuziehen, und die Journalistin Scholz, nun erfolgreiche Fernsehmoderatorin, in ihrer Sendung wieder. Eine prekäre Situation, die Scholz ausnutzt, um den angehenden Landtagsabgeordneten mit seiner Vergangenheit zu erpressen. Dieser liefert “Insiderinformationen“ an die Moderatorin, woraufhin die Sendung startet – ein normales Interview mit einem für die Öffentlichkeit lupenreinen Politiker.

„Kein schöner Land“ ist ein Stück über die Hintergründe der Beziehung von Medien, Rechtsextremismus und der Machtlosigkeit des Rechtsstaates angesichts einer zunehmenden Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen und in den Medien. Jeder bekommt bei diesem Stück sein „Fett weg“. Es wird nicht nur am Staat Kritik geübt, auch die Rolle der Medien sowie Einzelschicksale werden beleuchtet. Offen werden Fragen in den Raum gestellt:

Was ist die Keimzelle des Rechtsextremismus? Wie kann er bekämpft werden? Wie mächtig ist unser Staat?

„Politiker und Polizei sahen tatenlos zu, wie die Konfrontation zwischen Einheimischen und Ausländern immer mehr eskalierte. Es traten offene, gewaltsame und rassistisch motivierte „Aktionen“ in einem Ausmaß zutage, die nach 1945 unbekannt und nicht vorstellbar waren.“ Eine Tatsache, die auch heute nicht an Brisanz verloren hat.

Die Resonanz auf das Theaterstück unserer Schüler war durchwegs positiv. Viele fanden das Stück bereichernd, da sie zu jung waren, um diese Auseinandersetzung in den Nachrichten mitzuverfolgen. Sie begrüßten es, dass diese deutsche Geschichte am Leben erhalten bleibt, um nicht in Vergessenheit zu geraten.

Somit ist Kein schöner Land ein weiteres gelungenes Stück mit der Absicht, nicht nur eine Geschichte zu erzählen, sondern uns Zuschauer zu sensibilisieren und zum Nachdenken anzuregen.

Text: Hendrik Wolff, AH 13 S1
Fotos: Ewald Hülk


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