Kultursensible Pflege und Betreuung

„Es begegnen sich niemals Kulturen, sondern immer Menschen!“
Ein Vortrag zur Kultursensiblen Pflege und Betreuung für angehende HEP

In unserer Blockwoche bekamen wir Besuch von Tatiana Hülsmann und Nuray Özcan aus der Psychiatrischen Hilfsgemeinschaft Duisburg. Dort sind sie für das Sozialpsychiatrische Kompetenzzentrum Migration (SPKoM) zuständig. Sie betreuen Menschen mit Migrationshintergrund, die psychisch erkrankt sind, und beraten Sozialpsychiatrische Zentren und andere Einrichtungen und Organisationen in der Gemeindepsychiatrie, die mit und für Migranten arbeiten. Wie wir erfuhren, dient die Beratung der Stärkung interkultureller Kompetenz bei Mitarbeitern solcher Einrichtungen. Im Vordergrund stehen dabei der Abbau von Zugangsbarrieren und Hemmschwellen sowie die Öffnung der Einrichtungen für Migranten. Die Migranten sind in der Gemeindepsychiatrie unterversorgt und können somit nicht alle ambulanten/stationären Hilfen in Anspruch nehmen. Das soll sich möglichst ändern.

Ziel der Arbeit ist die Sensibilisierung anderer Einrichtungen, die Vermittlung von Wissen und Kenntnissen über Kultur, Glauben und Bildung der Migranten sowie der Aufbau und die Stärkung interkultureller Handlungskompetenzen. Und genau mit diesem Ziel kamen sie auch zu uns angehenden Heilerziehungspflegern, die wir selber möglicherweise demnächst in Arbeitsfeldern tätig sein werden, wo wir Menschen mit Migrationshintergrund betreuen. Frau Hülsmann und Frau Özcan stellten gleich zu Beginn heraus, dass, solange wir mit dem Herzen sprechen, wir für jeden verständlich sein können.

Nach der persönlichen Vorstellung und der Präsentation der Aufgaben des SPKoM Duisburg, teilten sie uns ein Blatt mit dem Titel „Typisch“ aus. Hierbei handelte es sich um einen Kurzfragebogen, in dem angekreuzt werden sollte, welche Eigenschaften unserer Meinung nach zu welchen Nationen gehören bzw. mit dieser verbunden werden. Auf diesem standen vorherrschende Vorurteile gegenüber verschiedenen Nationen. Eine Erklärung dieses Blattes erhielten wir zunächst nicht. In Stillarbeit füllten wir dann dieses Blatt aus.

Danach kamen wir zum Thema Heimat. Zuerst besprachen wir, was Heimat für uns bedeutet. Jeder von uns sollte Dinge aufzählen, die wir mit in eine neue Heimat nehmen würden. Danach wurde uns umfassend erklärt, wie Menschen sich fühlen, die zwischen zwei „Welten“ stehen und wie es ist, mit dieser Zerrissenheit im Alltag zu leben. Gerade für die professionellen Betreuer stellt sich hier die Aufgabe, die Betroffenen an positive Erinnerungen oder Symbole aus ihrer Heimat zu erinnern. Dadurch, dass jeder von uns etwas anderes darunter versteht, ist ein wertfreier Umgang mit solchen Heimatsymbolen sehr wichtig. Es gibt hier kein richtig und kein falsch.

Als nächstes kamen wir zu dem Thema der unterschiedlichen Kulturen und deren Bedeutung für eine Pflege und Betreuung , die diese Kulturen ernst nimmt und berücksichtigt, also zur so genannten Kultursensiblen Pflege. Zuerst sprachen wir über die deutsche Kultur. Wir stellten fest, dass unsere Kultur vor allen Dingen regelorientiert, pünktlich, in Beziehungen eher distanziert und ihrer Kommunikation direkt und sachbezogen agiert – anders, als dies bei Kulturen der Fall ist, aus denen Menschen häufig zu uns kommen.
In diesem Zusammenhang haben wir die Übung „Wertehierarchie“ durchgeführt. Wir haben eine Liste mit 16 Werten erhalten und sollten sie in eine Rangordnung bringen. Unser wichtigster Wert sollte hierfür 16 Punkte bekommen und der Unwichtigste demnach einen. Nach dieser Einzelarbeit sollten wir uns in Gruppen zusammensetzen und uns für die drei wichtigsten Werte der Gruppe entscheiden. Das war sehr schwierig und es gab eine Gruppe, die sich gar nicht einigen konnte. In diesem Zusammenhang haben wir darüber diskutiert, dass es sogar in einer ähnlich sozialisierten Gruppe bereits große Unterschiede geben kann und es an dieser Stelle keine allgemeingültigen Werte geben kann.

Generell gibt es, wie wir lernten, zu Kulturstandards verschiedenste Definitionen. Sie sind nicht statistisch und ändern sich ständig durch andere Einflüsse. Jeder Mensch versteht unter Kulturen etwas anderes. Beispielsweise unsere Großeltern haben ein anderes Verständnis von Kultur als die Jugendlichen von heute.
Auch wurde anhand von unterschiedlichsten Beispielen besprochen, dass wir alle eine „kulturelle Brille“ tragen. Dies wurde uns ganz praktisch daran deutlich, da fast alle Studierenden das oben genannte Arbeitsblatt mit dem Titel „Typisch“ sehr zügig ausgefüllt hatten.
Im Laufe des Vortrags bemerkten wir immer mehr, wie unterschiedlich Gesten, Sprechweisen, Symbole und Verhaltensweisen sein können und auch wie verschieden deren Bedeutungen von einer zur anderen Kultur sind.
So ist das Peacezeichen in Brasilien und Australien eine vulgäre Beleidigung.
Das Zeichen für brilliant, also wenn mit Zeigefinger und Daumen ein Kreis geformt wird, steht in Deutschland, Mexiko, Kanada und andernorts für brilliant oder perfekt. In der Türkei aber ist es eine vulgäre Beleidigung.

Nach dem sogenannten Eisbergmodell von Edward T. Hall ist nur 10 % der jeweiligen Kultur des Anderen für uns sichtbar. Das Wesentliche, die restlichen 90 %, bleiben für uns im Verborgenen. Wir orientieren uns an den Informationen dieser 10 %, womit schnell Vorurteile entstehen können, die sich auf eine ganze ethnische Gruppe übertragen können. Wer aber sagt, dass unsere kulturelle Brille die richtige ist, mit der wir unsere Umwelt bewerten?

Nach diesem sehr lebendigen und praxisnahen Vortrag, der in einer lockeren Atmosphäre, verbunden mit vielen Beispielen aus dem Arbeitsalltag der beiden Referentinnen gestaltet war, hatten wir eine Vorstellung von den Schwierigkeiten, die ein Leben in einem fremden Land und mit neuen kulturellen Gegebenheiten mit sich bringt. Das Ziel der Sensibilisierung wurde voll erreicht. Danke für den sehr guten Einblick in dieses, für unsere Berufsgruppe immer wichtiger werdende Thema!

Zum Abschied wurde uns noch ein wichtiger Leitsatz mit auf den Weg gegeben: „Es begegnen sich niemals Kulturen, sondern immer Menschen!“

Text: Chantal Hegmann (HEP/B)
Foto: Andreas Mäteling


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