Wenn Menschen mit geistigen Behinderungen Eltern werden

Die angehenden Heilerziehungspfleger aus der HEP/O besuchten das SKF-Wohnheim in Wesel

Am Nachmittag des 25.09. besuchte unsere Klasse, die HEP/O, das Mehrgenerationenhaus in Wesel, wo wir vom Sozialpädagogen Herrn Sondermann und seiner Kollegin Frau Vogelreuter einen Einblick in das Leben der dort wohnenden Menschen und zugleich in den Arbeitsalltag der Pädagogen gewährt bekamen.

Im Rahmen unserer Ausbildung beschäftigten wir uns im Religionsunterricht mit ethischen Themen. Eine ethische Frage, die in der Arbeit mit erwachsenen Menschen mit geistiger Behinderung immer wieder eine Rolle spielt, ist die, ob es denkbar ist, dass Menschen mit geistiger Behinderung Eltern werden. Während die meisten Menschen inzwischen der Auffassung zustimmen, dass es auch Menschen mit Behinderungen möglich sein muss, Sexualität und Partnerschaft soweit wie möglich selbstbestimmt zu leben und zu gestalten, ist das Recht auf Elternschaft nach wie vor mit vielen Bedenken und Vorbehalten belegt.

Uns schien es in der Diskussion auch wichtig zu sein, mehr darüber zu wissen, welche Hilfs- und Unterstützungsangebote es überhaupt gibt. Ausführliche Antworten auf unsere Fragen erhielten wir schließlich bei unserem Besuch im Mehrgenerationenhaus Wesel. In Trägerschaft des Sozialdienstes katholischer Frauen e.V. wird den dort wohnenden Menschen mit Behinderung und ihren Kindern Unterstützung, Beratung, Betreuung und Hilfe. Was das genau heißt, erfuhren wir in 90 kurzweiligen Minuten.

Gleich zu Beginn klärte uns Herr Sondermann darüber auf, dass es sich hier um eine Spezialeinrichtung handelt, die es so nicht häufig gibt, weswegen die Bewohner/innen aus ganz Deutschland hierhin kommen. Dabei handelt es sich um Personen mit geistigen und psychischen Behinderungen, sowie um Menschen mit Lernbehinderungen. Die Männer – es sind zurzeit nur zwei – und die 20 Frauen leben mit oder bei ihren Kindern (insgesamt 25) in kleinen Appartements auf unterschiedlichen Gruppen, die jeweils eine andere Tagesstruktur haben.

Die bewohnenden Eltern lernen im Mehrgenerationenhaus zunächst unter Anleitung mit ihren Kindern richtig umzugehen, sie zu verpflegen, dem Alltag eine Struktur zu geben und den Haushalt zu erledigen. Die Kinder gehen in die interne Kita oder besuchen umliegende Schulen. Es wird viel Wert darauf gelegt, dass die Kinder und Jugendlichen in ihrer Freizeit soziale Kontakte pflegen. Die Pädagogen des Hauses begrüßen Verabredungen mit Freunden und richten daher zum Beispiel gerne auch Geburtstagsfeiern im Haus aus, zu denen dann die Freunde der Kinder/Jugendlichen herzlich willkommen geheißen werden. Aber auch die Eltern werden in der Freizeitgestaltung unterstützt, zum Beispiel indem interne Ferienfreizeiten und Freizeitangebote (z.B. tanzen) stattfinden. Auf Antrag dürfen die Eltern auch externe Reisen, Ausflüge und Treffen machen, während die Kinder beaufsichtigt werden.

Neben dem Wohnheim, welches wir in einem Rundgang näher kennen lernten, gehören zu der Einrichtung noch zwei Außenwohngruppen und eine anliegende Übungswohnung. In diesen Räumlichkeiten werden die Eltern und ihre Kinder von Heilpädagogen, Pädagogen, Erziehern und Kinderkrankenschwestern betreut.

Neben den beschriebenen sachlichen Inhalten, die wir vermittelt bekamen, ließen die Mitarbeiter aber auch einen Einblick in ihr persönliches Erleben zu. Bei aller erforderlichen professionellen Distanz, gibt es immer wieder Situationen, in denen man sich besonders mit den Bewohner/innen verbunden fühlt, vor allem dann, wenn man sie schon länger begleitet hat und wenn Kinder von frühester Kindheit bis zu ihrem Auszug im jungen Erwachsenenalter begleitet werden. Als besonders sensible Phase, über die wir dann auch länger sprachen, wurde die Phase dargestellt, in der die Kinder ihre Eltern „kognitiv überholen“ und wo sich häufig die Rollen zwischen Eltern und Kindern zu tauschen drohen.

Da es vor diesem Hintergrund durch Vorgeschichten, Verhaltensweisen und Entwicklungsverläufen der zu Betreuenden auch zu psychischen Belastungen des Personals führen kann, bietet das Mehrgenerationenhaus für seine Mitarbeiter/innen regelmäßige Balintgruppen an, in der schwierige Erlebnisse, sowie Sorgen und Ängste, aber auch Grenzsituationen im beruflichen Rahmen professionell besprochen werden können.

Für uns als angehende Heilerziehungspfleger bot der Nachmittag viele wichtige Informationen. Ganz besonders wichtig erscheint uns dabei, dass wir zu der Erkenntnis gekommen sind, dass Menschen mit geistigen Behinderungen angesichts derartiger Unterstützungssysteme sehr wohl Eltern sein können, wie sie unter Berücksichtigung ihrer individuellen Ressourcen und Defiziten fachlich kompetent betreut werden können und welche Art von geeigneten Einrichtungen es sogar ganz in unserer Nähe gibt.

Text: Jana Elbers & Julia Helbing (HEP/O)
Foto: Andreas Mäteling


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