Gute Erziehung – was ist das? EW-Professorin im Videointerview

EW-Professorin Sigrid Tschöpe-Scheffler stellt sich im Video-Interview den Fragen der AH11/F1: Eine erziehungswissenschaftliche Koryphäe im direkten Austausch mit Schülern des bischöflichen Berufskollegs in Geldern

Wer in der 11. Klasse Unterricht im Fach EW (Erziehungswissenschaften) hat, beschäftigt sich mit Fragen danach, was Erziehung eigentlich ist, ob Erziehung notwendig ist und welche Ziele dadurch erreicht werden sollen. Unweigerlich gerät man dabei auch zu der Frage, was man für gute Erziehung hält und ob man überhaupt verbindlich sagen kann, was gute Erziehung ist. In diesem Zusammenhang stößt man im erziehungwissenschaftlichen Unterricht dann auf die sogenannten fünf Säulen entwicklungsfördernder Erziehung nach Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler, die Erziehenden helfen sollen, eine Haltung zu entwickeln, die Kinder, wie der Name schon sagt, in ihrer Entwicklung fördert.

Schön und gut dachten sich die Schülerinnen und Schüler der AH11/F1, aber wer sagt uns denn, woher diese Säulen überhaupt kommen und wie sie entwickelt wurden? Und so verfassten Sara Schulz und Amelie Halmanns eine E-Mail an die 2015 emeritierte Professorin: „Sehr geehrte Frau Tschöpe-Scheffler, wir, die Klasse AH11/F1, beschäftigen uns momentan in Erziehungswissenschaften mit diversen Modellen der Erziehung und eins war von Ihnen. Wir würden uns sehr freuen, wenn sie uns persönlich mehrere Fragen ausführlich beantworten könnten. […]“ Eine Antwort war schon am selben Tag im Postfach. „Liebe Sara und liebe Amelie, es freut mich, dass ihr mehr über die fünf Säulen (es sind inzwischen sieben) wissen und mich einladen wollt. Vielleicht können wir ja auch eine Zoomkonferenz machen, zu der Ihr mich einladet. Oder es klappt real in Eurer Schule. Lasst von Euch hören, ich bin bereit, Eure Fragen zu beantworten.“ Die zusätzliche Bitte als kleines „Honorar“, für ein Projekt in Kenia zu spenden, wohin die siebzigjährige Tschöpe-Scheffler eine Woche nach unserem Videointerview reist, um dort einen Kindergarten in einem sehr armen Dorf in der Nähe des Indischen Ozeans zu bauen, erfüllen wir zu ihrer großen Freude gerne: „Ihr seid ja großartig. Von 50 Euro können wir für einen Monat jeden Sonntag für 50 Kinder ein warmes Essen anbieten in dem kleinen Begegnungszentrum, das ich dort habe bauen lassen.“

Im Interview zeigt sich Tschöpe-Scheffler persönlich und kann ihre fünf Säulen Liebe – Respekt/Achtung – Kooperation – Struktur – Förderung natürlich ganz anders vorstellen, als es ein theoretisches Lehrbuch zu tun vermag. So resümiert auch Lisanne Janßen: „Generell finde ich es interessant solche persönlichen Gespräche mit Leuten, wie z.B. Frau Tschöpe-Scheffler zu führen, da man auch mal mitbekommt, wer hinter diesen Namen steckt und wie diese Personen so drauf sind.“

Lea Oymanns fand die Videokonferenz sehr aufschlussreich, vor allem, da wir jetzt wissen, wie die fünf Säulen entstanden sind, nämlich durch Sichtung und systematische Zusammenstellung alten Wissens über Erziehung (Montessori, Korczak, Pestalozzi…) und Interviews mit ganz vielen ganz normalen Menschen über die Frage, was sie für gute Erziehung halten sowie Herausarbeiten der Schnittmengen. Besonders toll fand Lea Oymanns aber, dass Tschöpe-Scheffler einige Aspekte von Erziehung auch auf uns (Freizeitsportleiter*innen) angewendet hat, „also dass wir ja auch Kinder anleiten müssen.“ Tschöpe-Scheffler wirkt im Interview sehr nett, engagiert und hilfsbereit, auch natürlich durch ihr soziales Engagement in Kenia. Durch die Verbundenheit zu Kenia gelingt es Tschöpe-Scheffler, immer wieder auch kulturspezifische Aspekte von Erziehung und wie wir voneinander lernen können, mit in ihre Erläuterungen einfließen zu lassen.
Besonders hängen bleibt mir, Barbara Roghmanns, im Zusammenhang mit der Säule „Respekt“ der Hinweis auf Korczaks Recht des Kindes auf einen eigenen Tod. Tschöpe-Scheffler sagt zunächst vorsichtiger, um uns nicht zu sehr zu schocken: „Das Recht des Kindes auf ein Leben mit Risiken.“ Gemeint ist aber dasselbe. Kinder haben ein Recht zu leben und wenn ihnen aus Angst, dass ihnen etwas passieren könnte, alles Mögliche verboten wird, so können sie sich nicht mehr frei entfalten.

Mit Spannung hören wir natürlich auch von den neuen, nicht im EW-Buch abgedruckten Säulen:
– Gemeinschaft, denn um ein Kind zu erziehen, so sagt ein afrikanisches Sprichwort, braucht es ein ganzes Dorf. Zu viel Isolation tut uns nicht gut. Wenn ich innerlich leer bin, kann ich nicht gut erziehen. Als soziale Wesen sind wir auf Gemeinschaft angewiesen. Auch mögliche Folgen der Pandemie werden an dieser Stelle kritisch angesprochen.
– Spiritualität – mein gläubiges Herz freut sich. Gerade im Wissen um die Gefahren des Lebens braucht der Mensch die spirituelle Dimension. Man kann nicht alles selbst machen. Man kann nicht alles selbst schaffen. Gott, Allah ,das Universum – in der Ergänzung ihrer Thesen hat Tschöpe-Scheffler durch Gespräche mit Menschen die Überzeugung gewonnen, dass die spirituelle Dimension für Erziehung ganz wichtig ist.

Abschließend wird im Interview noch festgehalten, dass es kein Rezept für richtige Erziehung gibt, nur Orientierungpfeiler; Fehler und Schwächen gehören aber genauso dazu, denn „Erziehung ist Versuch und Irrtum“ und „keine Robotergeschichte“. Und gerade für die Freizeitsportleiter*innen hebt Tschöpe-Scheffler noch den Wert der Leidenschaft in den Fokus. Authentische Vorbilder stecken an und können Edelsteine zum Funkeln bringen, die in jedem einzelnen Kind verborgen sind. In diesem Sinne resümiert auch Jil Daemen: „Außerdem fand ich es gut, dass sie gesagt hat, dass wir alle noch ungeschliffene Diamanten sind und es auch als Eltern normal und okay ist, Fehler zu machen. Ich finde, sie hat uns damit Mut gemacht, auch als Leiter einer Trainingsgruppe das zu machen, was wir für richtig halten und die Trainierenden zu unterstützen.“

Auch Sara Schulz ist sehr zufrieden mit dem Ergebnis ihrer Mailanfrage: „Ich denke, es war ein unglaublicher Moment, eine solche Persönlichkeit kennenzulernen. Alle meine Fragen wurden beantwortet. Viele schon, bevor ich überhaupt gefragt habe. Sie hat mich verleitet, mehr über mich und über meine Ressourcen nachzudenken. Ich fand es auch spannend, zu erfahren, dass noch weitere Säulen momentan erstellt werden und wir auch eine mitkonstruieren dürfen. Zudem denke ich, dass eine Videokonferenz mit bedeutsamen Menschen eine gute Abwechslung zum sonstigen Unterricht ist, da man dann eine direkte Verbindung zum Erfinder des momentanen Themas hat. Zusätzlich fand ich ihre positive Art und Weise sehr ansteckend.“

Text und Fotos: Barbara Roghmanns


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