Podiumsdiskussion zur Flüchtlingssituation

Die Erstversorgung ist der Sprint, die Integration wird der Marathon.

Die Flüchtlingskrise stand im Zentrum der 17. Podiumsdiskussion „Schüler diskutieren mit Experten“ am Freitag in der Aula der Liebfrauenschule. Unter dem Titel „Herzlich willkommen! – reicht das?“ stellte sich u.a. Ansgar Heveling, Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestages, den kritischen Fragen der Schüler.

Mit Andreas Wohland vom Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen, der Geschäftsführerin des Flüchtlingsrates NRW Birgit Naujoks, der Dortmunder Sozialdezernentin Birgit Zoerner, dem Geschäftsführer des Duisburger Bildungszentrums Handwerk Dr. Frank Bruxmeier und der Projektleiterin der islamischen Wohlfahrtspflege Ihlam El-Morabiti war Heveling in grundsätzlichen Punkten einer Meinung: Es sei unbedingt notwendig, vom „Arbeiten im Krisenmodus“, wie Zoerner es formulierte, zu geordneten Strukturen zu kommen. Dazu gehöre unbedingt die ordnungsgemäße Registrierung der Flüchtlinge und die Verkürzung der Asylverfahren. Dass oft Monate vergehen, bis ein Asylantrag überhaupt gestellt werden könne, sei ein unhaltbarer Zustand, so Naujoks.

Die beiden Moderatoren Michelle Kurlbaum und Kevin Göhring, Schüler der 12. Klasse des Berufskollegs, die die Veranstaltung einfühlsam und gut vorbereitet leiteten, fragten im ersten Themenblock vor allem nach der Einschätzung der gegenwärtigen Lage. Dabei betonte Frau El-Morabiti, die zurzeit unter dem Dach des Zentralrates der Muslime in Deutschland für den Aufbau einer der Diakonie oder der Caritas ähnlichen Organisation der islamischen Wohlfahrtspflege zuständig ist, die besondere Verantwortung der islamischen Gemeinden in Deutschland. „Nur gemeinsam können wir das schaffen.“ Die Städte und Gemeinden trügen die Hauptlast in der gegenwärtigen Krise und müssten finanziell unterstützt werden, betonten Wohland und Zoerner: „Wenn wir in Dortmund Schwimmbäder und Turnhallen schließen müssen, ist das Wasser auf die Mühlen der AfD.“ Nicht die Flüchtlinge seien zu fürchten, wohl aber eine Spaltung der Gesellschaft durch eine Neiddebatte. Wohland ergänzte: Die öffentlichen Verkehrsmittel für Flüchtlinge kostenlos anzubieten, sei unter diesem Gesichtspunkt vielleicht keine sinnvolle Maßnahme.

Heveling gestand unumwunden zu, dass es ein schwerer Fehler der Politik gewesen sei, durch die Kürzung der Gelder für die UN-Hilfswerke die Flüchtlingswelle mitausgelöst zu haben, betonte aber, dass die Unterstützung der Städte und Gemeinden vom Bundestag jetzt in die Wege geleitet worden sei. Übereinstimmend stellten alle Podiumsteilnehmer eine große Hilfsbereitschaft in der deutschen Bevölkerung fest. Im Vergleich zu den 90er Jahren sei die Gesellschaft viel offener geworden.

„Fakten gegen Vorurteile“

Die Moderatoren stellten dieser positiven Einschätzung dann aber Bilder von fremdenfeindlichen, rechtsradikalen Ausschreitungen in Dortmund entgegen und konfrontierten die Gäste mit gängigen Vorurteilen gegen Flüchtlinge: „Die sind faul.“ „Die nehmen uns die Arbeitsplätze weg.“ „Das sind alles Kriminelle.“ „Das sind Terroristen.“ Damit war eine engagierte Diskussion über Fremdenfeindlichkeit, Rechtsradikalismus und die wachsenden Anhängerzahlen der AfD eingeleitet.

Die überzeugte Dortmunderin Zoerner griff die Art der Berichterstattung an und betonte, dass die gezeigten Bilder nur eine verschwindend kleine Minderheit beträfen und die Medien den Blick auch auf die überwältigende Zahl der ehrenamtlichen Helfer richten sollten. Besonders entschieden stellte sich El-Morabiti den genannten Sätzen entgegen: „Der Islam hat nichts mit Terrorismus zu tun.“ Radikale Islamisten, vor denen die meisten Flüchtlinge ja gerade flüchten, seien in ihrem vorurteilsgesteuerten Denken und Verhalten mit den Neonazis vergleichbar. Salafisten bezeichnete sie als „Sektenscouts, die sich an labile Persönlichkeiten richten.“ Mit einem harten Kern unbelehrbarer Rechtsradikaler in der BRD müsse man sich wohl abfinden, meinte Bruxmeier und mahnte zu Gelassenheit. Wichtig sei es aber, durch Aufklärung die verängstigten Menschen aus der Mitte der Gesellschaft gegen diese Propaganda zu immunisieren. Naujoks betonte: „Ich kann jedes dieser Vorurteile durch Fakten entkräften. Außerdem, was stimmt denn nun, sind sie faul oder nehmen sie uns die Arbeitsplätze weg?“ Heveling verwies auf eine Studie des Bundeskriminalamtes, aus der eindeutig hervorgehe, dass Kriminalität unter Flüchtlingen nicht mehr und nicht weniger verbreitet ist als unter der deutschen Bevölkerung, ja dass gerade Flüchtlinge aus dem Nahen Osten in der Kriminalitätsstatistik signifikant unterrepräsentiert sind. Auch einem Einzug der AfD in die Parlamente könne man gelassen entgegensehen. „Solche Parteien zerlegen sich sofort selbst, wenn sie erst einmal solide Arbeit leisten sollen.“ (Bruxmeier)

Was können wir tun?

Christoph Heumanns, Nur Ramadan und Ulrike Heintze berichteten stellvertretend für viele andere Lehrer und Schüler der Liebfrauenschule über ihr ehrenamtliches Engagement für Flüchtlinge im Fußballverein, beim Dolmetschen und bei Deutschkursen und leiteten damit zum dritten Themenblock über. Dabei ging es um die Frage, wie Integration auf Dauer gelingen kann. Ohne freiwillige Helfer wird es definitiv nicht gehen, aber insbesondere Wohland warnte, dass die Zukunft von den Weichenstellungen der nächsten Monate abhängt. „Hilfsbereitschaft braucht Strukturen.“ Das Engagement vieler Freiwilliger dürfe nicht durch schlechte Organisation demotiviert werden. In einer Gemeinde sei z.B. abends ein Anruf gekommen, in dem für die Nacht die Ankunft von 150 Flüchtlingen angekündigt wurde. Die Helfer bereiteten so schnell es ging eine Turnhalle vor, bauten Betten auf und richteten etwas zu essen her, als der nächste Anruf kam und die ganze Aktion um einen Tag verschoben wurde. „Sowas kann man mit Ehrenamtlichen zweimal machen, dann bleiben die weg.“

Sehr klar verkörpert El-Morabitis Arbeit den gegenwärtigen Übergang. Jetzt ist die Zeit der unkoordinierten, spontanen Hilfe, sei es in Form eines Haarschneideangebots oder indem man auf die Schnelle auch schon mal eine Moschee als Notunterkunft zur Verfügung stellt. Auf Dauer brauche man aber eine langfristige Finanzierung und Professionalisierung der Helfer. Zoerner stellte klar, dass sich schon jetzt viele Muslime auch in nicht-muslimischen Organisationen engagieren. Sie arbeitet u.a. daran, Netzwerke der Helfer in Dortmunds Stadtteilen aufzubauen, sodass z.B. Ehrenamtliche, die Sprachkurse geben, leichter ihre Materialien austauschen können. Angesichts vieler unbesetzter Lehrstellen im Handwerk und des demographischen Wandels betonte Bruxmeier besonders, dass Zuwanderung eine große Chance sei, allerdings unter der Voraussetzung, dass jetzt ausreichend in Bildung und Ausbildung der überwiegend jungen Flüchtlinge investiert wird. Und obwohl Naujoks der Sicht auf Flüchtlinge unter dem Aspekt der „Nützlichkeit und Verwertbarkeit“ mit dem Argument entgegentrat, dass das Asylrecht dazu da ist, verfolgte Menschen unabhängig von ihrer Leistungsfähigkeit zu schützen, schloss sie ihre Ausführungen mit dem entschiedenen Appell an die anwesenden Schülerinnen und Schüler, die Zuwanderung von friedlichen Menschen auf jeden Fall als Bereicherung unserer Gesellschaft zu betrachten. Wohl in Anspielung auf Angela Merkels viel diskutiertes Statement schloss Heveling mit dem Bekenntnis: „Ich bin optimistisch, dass wir das schaffen.“ Und Bruxmeier erinnerte an eine ganz einfache Wahrheit: „Menschen wollen schließlich friedlich zusammenleben.“

P.S.: Anscheinend waren auch die Gäste unserer Podi wirklich beeindruckt! Als die ersten Folien eingeblendet wurden, staunte Heveling auf offener Bühne: „Das ist ja super vorbereitet hier!“

Text: Monika Hellebrandt
Fotos: Günter Rinkens, Ewald Hülk
Film: J.Terhorst



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