Humangenetische Beratung – was ist das?

Am 19.11.2012 wurden wir, die HEP/B, in unserer zweiten Blockunterrichtswoche von der Ärztin für Frauenheilkunde und Humangenetikerin Claudia Behrend besucht. Mit einer Kollegin betreibt sie eine Praxisgemeinschaft für Medizinische Genetik in Düsseldorf.

Zunächst hat uns Frau Behrend in einem ersten Themenblock die Grundlagen der Humangenetik anhand einer PowerPoint-Präsentation näher gebracht. Für manche war es eine gute Wiederholung von bereits erworbenem Wissen, für andere aber war es mehr oder weniger noch recht neues – bzw. zumindest nicht verinnerlichtes – Wissen.

Sie hat uns beispielsweise erklärt, dass es sich bei der „Genetik“ um die Lehre der Vererbung und der Weitergabe von Merkmalen und Eigenschaften handelt. Die Chromosomen sind die Träger der Erbinformationen und die Gene sind die Erbanlagen selbst. Besonders hilfreich war für uns der bildliche Vergleich zwischen Chromosomen und einer CD, die ja auch ein Datenträger ist.

Jeder gesunde Mensch hat 23 Chromosomenpaare. Außerdem haben wir gelernt, dass sich in jedem Zellkern unseres Körpers die gesamte genetische Information befindet, was bei der Masse an Zellkernen enorm ist.

Frau Behrend hat uns erklärt, dass es zu Veränderungen in der Anzahl oder in der Struktur der Chromosomen kommen kann, sozusagen zu „Kratzern auf der CD“, die sich wiederum die Zytogenetiker täglich in ihrer beruflichen Praxis anschauen. Durch eine fehlerhafte Verteilung der Chromosomen bei der Zellteilung hat das Kind zu wenige oder zu viele Träger der Erbanlagen. Das bekannteste Beispiel ist das „Down-Syndrom“, auch „Trisomie 21“ genannt. Bei den Betroffenen ist das. Chromosom Nr. 21 dreimal statt zweimal vorhanden. Wie schon erwähnt, kann auch eine Veränderung der Struktur vorliegen, die in balanzierter Form beim Träger selber keinen Krankheitswert hat, aber bei einer fehlerhaften Weitergabe Krankheitswert bei den Nachkommen erlangen kann.

Bei den monogen bedingten Erkrankungen wird zwischen der autosomal-dominanten, autosomal-rezessiven, X-chromosomalen und der polygenen und multifaktoriellen Vererbung unterschieden.

Bei der autosomal-dominanten Vererbung dominiert der Fehler und kommt in jeder Generation vor, während bei der autosomal-rezessiven Vererbung der Fehler mehrere Generationen überspringen kann. Bei der X-chromosomalen Vererbung liegt der Fehler auf dem X-Chromosom. Polygene und multifaktorielle Vererbung bedeutet, dass viele Gene betroffen sind und auch Umweltfaktoren bei der Ausprägung eine Rolle spielen.

Frau Behrend hat uns weiterhin erklärt, welche Testverfahren es gibt, um ein ungeborenes Kind auf eine genetische Veränderung zu testen. Es gibt die Möglichkeit während der Schwangerschaft eine Fruchtwasseruntersuchung, eine Gewebeentnahme der Plazenta oder eine Punktion der Nabelschnur durchzuführen. Da die letzten beiden Verfahren mit großen Gefahren für das ungeborene Kind verbunden sind, werden sie üblicherweise nicht so häufig angewendet, während die Untersuchung des Fruchtwassers eine häufige Methode ist.

Bereits ab der zehnten Schwangerschaftswoche können mittels Ultraschall Veränderungen nachgewiesen werden, die auf das Down-Syndrom hinweisen. Wenngleich sie uns sehr sachlich alle denkbaren Untersuchungen vorstellte, verschwieg uns Frau Behrend aber nicht die Probleme und Ängste, die sich aus dem so genannten Ersttrimester-Screening ergeben können. Das größte Problem hierin sieht Frau Behrend in der mangelnden Aufklärung.

Auch nach der Geburt sind Untersuchungen des Blutes oder des Knochenmarks zur Diagnostik von genetischen Veränderungen möglich.

Im zweiten Themenblock hat uns Frau Behrend von ihrer Arbeit in der humangenetischen Beratung berichtet, die sie in ihrer Praxisgemeinschaft durchführt, berichtet.

Diese Beratung ist ein Angebot ärztlichen Handelns und richtet sich an Patienten, die selber an einer möglichen genetisch bedingten Erkrankung oder Behinderung leiden und an Menschen, die für sich oder ihre Nachkommen das Risiko einer genetisch bedingten Erkrankung befürchten, z.B. Paare, die ungewollt kinderlos sind und eine Sterilitätstherapie planen. Die Aufgabe der Beratung ist die Bewertung der individuellen Situation und die Gabe von Informationen zu diagnostischen Möglichkeiten. Sie hat uns auch die übliche Vorgehensweise geschildert: Zum Alltag einer Genetikerin gehört es, wie uns Frau Behrend mitteilte, einen Stammbaum über mindestens drei Generationen anzulegen – den sie gerne auch mit der Hand zeichnet, wie wir gezeigt bekamen, anschließend analysiert sie die Krankengeschichte der zu beratenden Person und die Familienvorgeschichte. Letzteres sei manchmal schwer umsetzbar, weil Paare, die ungewollt kinderlos sind, aus Scham nicht mit ihren Familien über ihre Situation sprechen möchten. „Vor dem Hintergrund der Vielzahl an Informationen, die man plötzlich bekommt, kann eine ausführliche humangenetische Beratung auch schon mal wie eine Bombe in einer Familie wirken“, so Frau Behrend. Diesen Ausführungen folgten wir besonders aufmerksam, weil wir uns gut vorstellen konnte, welche Sensibilität und Empathie im Umgang mit Ratsuchenden diese Beratung erfordert.

Wenn die Patienten einwilligen, folgt nach der Beratung die genetische Untersuchung. An dieser Stelle hat Frau Behrend deutlich gemacht, dass das „Recht auf Nichtwissenwollen“ in jedem Fall zu respektieren ist.

Das Ergebnis der Untersuchung kann zu einer einschneidenden Veränderung der Lebenssituation oder Lebensplanung führen. Hier spielen vor allem psychosoziale Aspekte eine große Rolle. Mit drastischen Worten führte uns Frau Behrend die Sicht vieler Menschen in unserer Gesellschaft vor Augen, die aus ihrer Sicht „eine Mercedes-S-Klasse bestellt haben und geliefert wird ein VW-Käfer.“ Wie wir im Vortrag immer wieder spürten, war es Frau Behrend ein großes Anliegen, uns gerade für diese psychosozialen Aspekte ausdrücklich zu sensibilisieren.

Darüber hinaus geraten Eltern manchmal auch in Existenznot, wenn bei ihrem ungeborenen Kind eine schwere Schädigung festgestellt wird. Ein Abbruch der Schwangerschaft ist bei einer unheilbaren Erkrankung des Kindes erlaubt. Die Indikation erfolgt zur Abwendung einer schwerwiegenden Schädigung der Gesundheit der Frau. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr haben ca. 123.000 Schwangerschaftsabbrüche aus sog. „Notlagen“ nach der Beratungsregelung, § 218, heraus stattgefunden.

Mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um die PID stellte Frau Behrend am Schluss dann noch klar, dass sie im Rahmen einer PID immer nur gezielt im Hinblick auf ein in der Familie bekanntes genetisches Risiko untersuchen, jedoch niemals ein Screening zur Trisomie 21 durchführen würde. Im Vorfeld einer PID muss ein Antrag bei einer Ethikkommission gestellt werden, die im Sinne einer Einzelfallentscheidung bei schwerwiegenden Erkrankungen die Durchführung der PID genehmigen kann.

Abschließend kann man sagen, dass es ein interessanter Vortrag war, der uns nicht nur über das Thema Humangenetische Beratung informiert hat, sondern der uns vor allem auch wegen der Fülle an Fallbeispielen aus der beruflichen Praxis von Frau Behrend sehr für den Umgang damit sensibilisiert hat.

Text: Ina Behet
Fotos: Andreas Mäteling


Hinterlasse einen Kommentar