Eltern mit Behinderung – Wer hilft ihnen?

„Wer Hilft Menschen mit Behinderung, wenn sie eigene Kinder bekommen oder schon welche haben?“

Seit einigen Wochen haben wir, die HEP/O, uns im Religionsunterricht mit ethischen Entscheidungssituationen beschäftigt, die in unserem zukünftigen Berufsleben als Heilerziehungspfleger eine Rolle spielen (können). Auf ein besonderes Interesse stieß bei uns das Thema Elternschaft von Menschen mit geistiger Behinderung. Dabei erfuhren wir, dass es Einrichtungen speziell für diesen Bedarf gibt, in denen Eltern mit Behinderungen und deren Kinder die nötige Unterstützung erfahren.
Damit wir eine bessere Vorstellung von Einrichtungen dieser Art bekommen konnten, luden wir Herrn Sondermann, Sozialpädagoge vom Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) in Wesel, in den Unterricht ein. Trotz sehr kurzfristiger Einladung war er gerne bereit, uns einen Einblick in die „Begleitete Elternschaft“ innerhalb des Mehrgenerationenhauses Wesel und in seine tägliche Arbeit zu geben.
Der Sozialdienst katholischer Frauen in Wesel ist eine Eltern-Kind-Einrichtung für Eltern mit Behinderung und kümmert sich um volljährige Menschen mit geistiger Behinderung sowie um Menschen mit einer psychischen Erkrankung. In der Einrichtung wird die Hilfe bei der Versorgung und Erziehung ihrer Kinder angeboten, die benötigt wird.
Neben den spezifischen Merkmalen der Arbeit vor Ort, erfuhren wir auch vieles über die Motivation, in einer solchen Einrichtung zu arbeiten. So berichtete uns Herr Sondermann, dass er den Beruf des Industriekaufmanns gelernt und später eine Umschulung zum Sozialpädagogen gemacht hat. Vom Praktikum in dieser Einrichtung begeistert, hat er sich in einer „Sekundenentscheidung“ dazu entschlossen, dort später auch arbeiten zu wollen und mit diesem Ziel die berufliche Neuorientierung begonnen.
In der Einrichtung, in der 30 Bewohner/innen betreut werden, arbeitet Herr Sondermann mit 16 weiteren Mitarbeiter/innen, darunter sind Kinderkrankenschwestern, Heilpädagogen und Sozialpädagogen vertreten. Das Wohngruppensystem ist an den unterschiedlichen Hilfebefarf der Bewohner angepasst. Es gliedert sich in fünf Gruppen mit unterschiedlichen Schwerpunkten, weshalb der Personalschlüssel in jeder Gruppe anders ist.
Auf Wunsch kann die betreffende Person bereits während der Schwangerschaft begleitet und unterstützt werden. Nach der Entbindung geben Herr Sondermann und seine Kolleg/innen Hilfestellung bei der Versorgung des Neugeborenen.
Zu den Aufgaben der Pädagogen in der Erziehung der (Klein-)Kinder gehört laut Herrn Sondermann insbesondere die Beratung bezüglich des konsequenten Erziehungsverhalten der Eltern mit Behinderungen (z.B. bei den Mahlzeiten) aber zugleich auch die Hilfe beim Aufbau von Bindungsfähigkeit.
Außerdem werden Partnergespräche angeboten, sodass Konflikte zwischen den Eltern und den Kindern oder auch unter Freunden gelöst werden können. Mit Blick auf die Rolle von Konflikten merkt Herr Sondermann an: „Bei uns erlebt man den Mikrokosmos der gesamten Welt. Dazu gehören natürlich auch Konflikte untereinander.“ Manchmal sei das vor allem im Miteinander von psychisch Erkrankten und Menschen mit geistigen Behinderungen eine große Herausforderung.
Des weiteren gibt es die Kontaktbegleitung, das heißt, dass Mitarbeiter das Kind bei dem Besuch eines Elternteil, der nicht in der Einrichtung begleiten, wenn dies nötig ist. Dabei ist es für Herrn Sondermann sehr wichtig, eine gute Beziehung zu den Familien aufzubauen, damit auf einer vertrauensvollen Ebene gearbeitet werden kann. „Der Beziehungskanal ist in unserer Arbeit entscheidend“, so Herr Sondermann. Neben dem Aufbau und Gestalten einer professionellen Beziehung, zu der in angemessener Weise Nähe und Distanz gehören, ist Echtheit in der pädagogischen Arbeit mit Bewohner/innen das oberste Prinzip.
Die Familien sind nicht den ganzen Tag an den Aufenthalt in der Einrichtung gebunden. Sie können jederzeit das Haus verlassen, Freunde oder Verwandte treffen oder auch ausgehen. Der Ausgang muss mit den Mitarbeitern abgesprochen werden, da es ihnen wichtig ist, dass die Kinder in dieser Zeit die nötige Versorgung bekommen. Der Besuch von außerhalb ist ebenfalls möglich und wird jeder Zeit unterstützt. Der Kontakt außerhalb der Einrichtung ist erwünscht und wird deswegen auch gefördert. Allerdings verschweigt Herr Sondermann auch nicht, dass es mit der Akzeptanz der Bewohner/innen in der Nachbarschaft – ebenso wie insgesamt in der Gesellschaft – schwierig ist. Man höre schon häufiger mal abfälliges Reden über „die, die da wohnen“. Auch im Privaten müsse man sich darauf gefasst machen, Sätze zu hören wie: Bringt das, was ihr macht, überhaupt etwas? Habt ihr auch Erfolge?
Gerade vor „seinen“ Bewohner/innen müsse man viel Respekt haben, „da sie allesamt Menschen sind, die in schwierigen Situationen leben und den Mut hatten, sich Hilfe zu holen. Jeder, der bereit ist zu einer Art von Therapie, der also bereit ist zu leben, verdient größten Respekt“, gibt Herr Sondermann zu Bedenken. Uns hat dieser Satz sehr berührt und nachdenklich gemacht. Sicher wird er uns bei unserer heilerziehungspflegerischen Arbeit in Zukunft begleiten.
Im Gespräch über die speziellen Anforderungen an die Mitarbeiter und die Arbeitsbedingungen vor Ort ließ uns Herr Sondermann dann noch wissen, dass Teamarbeit das Ein und Alles sei. „Einzelentscheidungen gibt es bei uns nicht, sondern immer wieder Beratungen im Team.“ Auch Beratungen von außen gehören zur professionellen Arbeit, so zum Beispiel im Rahmend der 14tägig stattfindenden Balintgruppen und der Supervisionssitzungen.

Auf die für Pädagogen besonders schwierigen Phasen angesprochen, nennt Herr Sondermann die Zeit, wenn Kinder von Eltern mit Behinderungen in die Pubertät kommen und ihre Eltern dominieren wollen. Dann bestehe die große Gefahr, dass sich Rollen verschieben. Hier ginge es dann um die zentralen Themen Abgrenzung und Ausgrenzung, die zu einer pädagogischen Herausforderung werden. Speziell für diese Phasen werden Kindergesprächsrunden angeboten, in denen es zum Beispiel um die Frage geht „Wie gehe ich mit der psychischen Auffälligkeit meiner Eltern um?“ Insgesamt sorgen die Unterstützungssysteme für eine in der Regel gute Entwicklung der Kinder. Manche der Kinder kämen noch später zu Besuch zu ihm in die Einrichtung. Gerührt berichtet uns Herr Sondermann von einem dieser Besuche, in dem ihm ein ehemaliges Kind sagte: „Du bist mein früheres Zuhause!“
Am Ende des Besuches gab uns Herr Sondermann – getreu seinem Menschenbild – einen Rat mit auf den Weg, den er und seine Kolleg/innen in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung immer in den Mittelpunkt stellen: Nicht entmündigen, sondern BEFÄHIGEN! Dem schließen wir uns gerne an
Am Ende bedankten wir uns mit einer großen Packung Merci für den Einblick in dieses für uns so interessante und sehr spezielle Feld der sozial- und heilpädagogischen Arbeit.
Bei Interesse an dieser Einrichtung kann man sich auf der Internetseite www.mgh-skfwesel.de informieren.

Text: Christine Bielen und Katrin Hellriegel (HEP/O)
Foto: Andreas Mäteling


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