Würde – ein Leben lang?

Ethische Fragen standen im Mittelpunkt der 13. Podiumsdiskussion „Schüler diskutieren mit Experten“.

Dem Vorbereitungsteam, bestehend aus rund 35 Schülern und einer Gruppe von Lehrern, war es wieder einmal gelungen, zu dieser traditionsreichen Veranstaltungsreihe namhafte Experten in unsere Liebfrauenschule zu locken. Das Thema dieses Mal: „Würde – ein Leben lang?“

Nina Meyer, Redakteurin der Niederrhein-Nachrichten, schrieb über diese Veranstaltung am 23. November 2011 in ihrer Zeitung:

Eine Frage der Würde
Liebfrauenschüler diskutieren mit Experten über Ethik und Gesundheit

GELDERN. Um nichts Geringeres als die Frage „Wann beginnt menschliches Leben?“ ging es bei der 13. Podiumsdiskussion von Schülern des Berufskollegs an der Gelderner Liebfrauenschule mit vier Experten aus Medizin, Kirche und Politik. „Gesundheit – vom Anfang bis Ende des Lebens“ war das Thema der Veranstaltung in der „Liebfrauenklinik“. Mit kritischen Fragen regten die beiden Moderatoren Katrin Thelen und Lutz Brimmers eine sachliche aber doch kontroverse Diskussion unter anderem über Prä-Implantationsdiagnostik, Pflege, Fachkräftemangel, Organspende und Patientenverfügung an.

Nach einem kurzen und amüsanten Einstieg zur Vorstellung der vier Experten – Ulrike Flach, Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Claudia Behrend aus Düsseldorf, Gynäkologin mit dem Spezialgebiet Genetik, Christel Plenter, Pflegedirektorin der Christopherus-Kliniken in Coesfeld, und Dr. Klaus Winterkamp, Vorsitzender des Diözesan-Caritasverbandes Münster, – wurde es schnell ernst auf dem Podium. Mit einem Fallbeispiel für eine Entscheidung zur Prä-Implantationsdiagnostik (PID) ging die Diskussion gleich in die Vollen. Staatssekretärin Flach erläuterte das Gesetz „für Familien mit schweren Erbkrankheiten“, räumte aber auch ein, dass das Thema „Selektion“ in Deutschland sehr sensibel sei. Die Medizinerin Behrend hob hervor: „Es ist gut, dass es keine Liste mit Ausnahme-Krankheiten gibt, da wir in der Forschung stets neue Erkenntnisse gewinnen. Das ist jeweils eine Frage für die Ethikkommission.“ Theologe Winterkamp vertrat die Haltung der Caritas gegen die PID: „Es entspricht nicht der Würde des Menschen, dass ein anderer ein Recht auf ihn hat.“ Das neue Gesetz zur PID nannte er einen „Dammbruch“ für die Forschung, der auch Fragen nach weiteren Verfahren, die im Ausland bereits zugelassen sind, nach sich ziehe. Auf die Frage nach ethischen und moralischen Kriterien für die Medizin verwies Claudia Behrend auf den veranwortungsvollen Umgang der Mediziner mit ihren Möglichkeiten: „Es liegt auch bei uns selber.“ Nicht einigen konnten sich die Experten über die Frage, ab welchem Entwicklungsstadium von menschlichem Leben gesprochen werden könne. Staatssekretärin Flach zog sich auf den Standpunkt zurück, dass sich hier auch die Verfassungsrechtler nicht einig seien. Winterkamp: „Mit dem Verfahren der PID ist verbunden, dass menschliches Leben stirbt.“ Behrend erläuterte: „Die Mehrzahl der PID-Fälle betrifft Frauen, die mehrere Tot- und Fehlgeburten hatten und trotzdem ein eigenes Kind haben möchten. Es ist auch eine Frage der Würde, wie oft eine Frau das ertragen muss.“

Wieviel darf ein Mensch kosten?

Nicht weniger brisant ging es weiter mit dem nächsten Themenblock: Pflege. „Wieviel dürfen ein Mensch und seine Behandlung kosten?“, fragten die Moderatoren. „Wir arbeiten an einer neuen Pflegereform“, sagte Ulrike Flach. Christel Plenter: „Es ist auch eine Frage nach Budgets und Verteilungsgerechtigkeit.“ Personal und Fachkräfte seien „eklatante Mängel“. Plenter weiter: „Ich möchte die Schüler hier gerne abwerben – aber was soll ich ihnen bieten?“ Als Lösung für den Bedarf schlug sie vor, Hilfspfleger einzustellen und ambulanten Pflegediensten die Verordnungshochheit zu erteilen.
Beim Thema Patientenverfügung schilderten die Experten auch ihre ganz persönlichen Standpunkte, wer für sie unter Umständen eine Entscheidung über Tod und Leben treffen solle. Auch die Organspende wurde noch diskutiert, bevor die Veranstaltung für Fragen aus Publikum geöffnet wurde. Staatssekretärin Flach plädierte für ein neues Verfahren, durch das die Bürger wiederholt auf ihre Haltung zur Organspende angesprochen werden sollen. Eine Umfrage unter 491 Schülern der LFS zeigte, dass gerade mal 18 Prozent einen Organspenderausweis besitzen, 52 Prozent hingegen Interesse daran hätten. Flach sah in den Zahlen „ein Spiegelbild der Gesellschaft“. Theologe Winterkamp verwies auf die psychologische Wahrnehmung des Hirntods, der von vielen nicht verstanden werde. Einig waren sich die Diskussionsteilnehmer darüber, dass die Bevölkerung noch mehr über die Organspende informiert werden müsse.

Text: Nina Meyer (Niederrhein-Nachrichten vom 23. November 2011)
Fotos: Ewald Hülk
Film und Mensafoto: Mr T


Kommentare

  1. Claudia Behrend sagt:

    Ein tolles Projekt! Es hat mir sehr viel Spass gemacht. Herzliche Grüße Claudia Behrend

  2. Delk Bagusat sagt:

    Die Moderation war sehr erfrischend (da kann sich auch ein Herr Plasberg noch ’ne Scheibe abschneiden), die Themen waren gut aufbereitet, anspruchsvoll und es war in der Themenauswahl ein roter Faden im Sinne ethischer Fragestellungen erkennbar. Die Zusammensetzung der Gäste fand ich sehr gut, da die ganze Bandbreite der Perspektiven (politisch, medizinisch, rechtlich, fachlich und subjektiv/menschlich) vertreten war. Es wurde nie langweilig, an manchen Stellen wäre sicher eine vertiefte Diskussion wünschenswert gewesen (gerade wenn es kontovers wurde), aber die Themen waren auch so „gut im Blick“.
    Schade fand ich, dass (meines Erachtens) keiner so richtig die Chance wahrgenommen hat, echte Werbung für den Pflegeberuf zu betreiben.
    Dabei ist es ein so toller Beruf, bei dem man jeden Tag mit den unterschiedlichsten Menschen und Situationen zu tun hat mit einem riesigen eigenen Gestaltungsspielraum, mit fachlichen wie menschlichen Herausforderungen, wie sie kaum ein anderer Beruf zu bieten hat, mit tollen engagierten Kollegen, und vor allem ist er so sinnstiftend, dass er (auch wenn die Rahmenbedingungen nicht optimal sind) eine tiefe Zufriedenheit mit sich bringen kann.

    Herzlichen Dank an alle Beteiligten, es hat viel Spaß gemacht!

    Delk Bagusat
    (Caritasverband Geldern-Kevelaer e.V.)

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