„Die Kirche lebt und sie ist jung“

Im Dezember 2008 ernannte Papst Benedikt XVI. den damaligen Bischof der Diözese Essen, Dr. Felix Genn, zum neuen Bischof des Bistums Münster. Ein Vierteljahr später, am 29. März 2009, führte ihn der Kölner Kardinal Joachim Meisner im Rahmen eines festlichen Gottesdienstes im Hohen Dom zu Münster in sein neues Amt ein.
Mehr als ein Jahr ist mittlerweile vergangen. Grund genug also für uns als Berufskolleg des Bistums Münster, ihn um ein Interview zu bitten. Sehr gerne stellte er sich den vielen Fragen, die sich Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer zuvor überlegt hatten.

    DER EIGENE LEBENSWEG
    „Gott war mir immer in meinem Leben wichtig!“

Sehr geehrter Herr Bischof! Nicht nur die Schülerinnen und Schüler möchten wissen, ob Sie sich schon in jungen Jahren für die Kirche interessiert haben, ob Sie zum Beispiel gute Noten im Fach Religion hatten und ob für Sie schon früh klar war, dass Sie sich Gott verpflichten?

Ich habe mich schon von Kind an für die Kirche interessiert, und Gott war mir immer in meinem Leben wichtig. Das gab meinem Leben einen Horizont, der weit über die Jahre hinausgeht, die ich hier auf Erden verbringe. Gott zu dienen empfand ich nie als beengend und lebensverkürzend. Im Gegenteil: Ich hatte immer den Eindruck, dass es das ist, was den Menschen wirklich hilft. In meiner Zeit als Messdiener habe ich die Liebe zur Liturgie gelernt, in der wir zweckfrei Gott loben und anbeten können, in der Er aber auch auf uns zukommt und uns seine Nähe schenkt. Deshalb war Religion für mich auch immer ein Fach, das mich interessiert hat. Dementsprechend waren die Noten.

Was aber gab letztendlich den Ausschlag, Priester werden zu wollen?

Das priesterliche Dienstamt hat mich schon von Kindheit an angezogen. Wahrscheinlich war es meine Zeit als Messdiener, die feierliche Liturgie, das Geheimnis, das im Gottesdienst in besonderer Weise spürbar war. Als Schüler am Andernacher Gymnasium hatte ich vor allem durch die Jugendgruppe viel Gelegenheit, über Gott und die Welt zu diskutieren, Fragen nach dem Sinn des Lebens zu stellen und mich darüber mit anderen auszutauschen. So wuchs in dieser Zeit das Verlangen, vielen Menschen etwas von der Botschaft des Evangeliums und von dem mitzuteilen, was der Glaube an Lebensmöglichkeiten bereithält.

Denkt man als Priester eigentlich daran, einmal Bischof werden zu wollen?

Nein, das Bischofsamt stand nicht im Mittelpunkt meiner Entscheidung, sondern der Wunsch und die Sehnsucht, Priester in einer Gemeinde zu werden, Pastor sein zu können. Das hat sich dann besonders verstärkt, als ich konkret als Kaplan in Bad Kreuznach tätig sein durfte, wurde aber auch nicht vermindert durch die spezielle Aufgabe der Priesterausbildung, in der ich danach 21 Jahre lang tätig war.

Wie haben Sie denn erfahren, dass Sie zum Bischof ernannt werden sollen?

Das Bischofsamt ist eine Anfrage, die von der Kirche her kommt. So habe ich das konkret 1999 erlebt, als ich durch den Apostolischen Nuntius, der den Heiligen Vater in Deutschland vertritt, gefragt wurde, ob ich die Ernennung des Papstes, Weihbischof von Trier zu werden, annehme. Ebenso erging es mir bei der Anfrage des Essener Domkapitels 2003 und des Domkapitels von Münster 2008.

Sicherlich haben Sie ein Ziel für Ihre Amtszeit!

Das einzige Ziel ist das, was in meinem Wahlspruch zum Ausdruck kommt: „Wir verkünden euch das Leben“ (1 Joh 1,2). Wenn das die Menschen annehmen, und selbst wenn es nur einer ist, habe ich ein großes Ziel erreicht.

Wünschen Sie sich manchmal, dass Sie einen anderen Weg eingeschlagen hätten?

Ich habe nie daran gedacht, es wäre gut gewesen, einen anderen Weg einzuschlagen. Sicherlich hat mich manche Situation als Bischof so bedrückt, dass ich mich schon einmal hin und wieder gefragt habe, ob ich damals nicht hätte auf die Bitten der Domkapitel bzw. des Nuntius Nein sagen sollen. Aber ich habe dann auch immer gespürt, dass ich dann dem untreu geworden wäre, was ich versprochen hatte, nämlich Gott vorbehaltlos zu dienen.

Fehlt Ihnen manchmal die Geborgenheit einer Familie?

Ich weiß auch, was es bedeutet, in einer Familie geborgen zu sein. Dennoch habe ich in meinem ganzen priesterlichen Leben bisher spüren dürfen, dass ich zwar oft allein war, aber nie einsam, weil es immer Menschen gab, die mich mitgetragen haben.

Eine andere Frage, Herr Bischof: Kennen Sie den Papst persönlich und vertreten Sie jede seiner Meinungen?

Ich habe den Papst schon als Studenten kennen gelernt; denn er war mein Professor während eines Studienjahres in Regensburg. Dabei habe ich ihn nicht nur kennen, sondern auch schätzen gelernt. Ich stehe mit seiner Theologie in einem inneren Einklang und verstehe, was er sagt. Wenn ein noch lebender Theologe mich geprägt hat, dann war es Joseph Ratzinger.

    KIRCHE UND KIRCHENSTRUKTUR
    „Ich halte die Kirche vor allem für evangeliumsgemäß.
    Und das Evangelium wiederum für zeitlos!“

Viele Jugendlichen, aber auch Erwachsene halten die katholische Kirche im 21. Jahrhundert nicht mehr für zeitgemäß!

Dazu möchte ich zunächst sagen, dass ich die Kirche vor allem für evangeliumsgemäß halte. Und das Evangelium wiederum für zeitlos. Es gibt keine andere „Einrichtung“ in der Weltgeschichte, die mit einer derartigen Beständigkeit über einen so langen Zeitraum besteht wie die katholische Kirche. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Natürlich muss die Kirche die, wie es das II. Vatikanische Konzil ausgedrückt hat, „Zeichen der Zeit“ aufmerksam wahrnehmen und das Evangelium je neu so verkünden, dass die Zeitgenossen es aufnehmen können. Nichts desto trotz wohnt der Kirche, wohnt dem Glauben, eine überzeitliche Wahrheit inne, an der jede Zeit Maß nehmen muss.
Diese Wahrheit hat für uns Christen in Jesus Christus einen Namen und ein Gesicht. Er ist das Leben und aus dieser Perspektive möchte ich mit Papst Benedikt XVI. ausrufen: „Die Kirche lebt und sie ist jung!“

Wie aber kann es gelingen, Jugendliche wieder für die Kirche zu interessieren?

Dafür gibt es meiner Meinung nach kein Patentrezept. Die entscheidende Frage ist für mich: Wie können junge Menschen heute in eine lebendige und persönliche Beziehung zu Christus treten? Wir wissen, dass dies in vielen Familien heute nicht mehr eingeübt werden kann und dass die Überfülle von Angeboten und unterschiedlichsten Möglichkeiten viele schier überfordert. Ich glaube, dass wir durch die Klarheit des Glaubens und die Konzentration auf eine personale Mitte eine echte Alternative gerade für junge Menschen bieten, die ja alle innerlich auf der Suche sind.
Dabei machen wir gute Erfahrungen mit dem Projekt der Jugendkirchen und überregionalen Angeboten zu Gesprächskreisen und Begegnungs-tagen, bei denen das geistliche Tun einen starken Akzent ausmacht. Noch einmal: Kirche hat Zukunft und sie ist „jung“, wo sie in die Tiefe führt, nämlich in die Begegnung mit dem lebendigen Gott in Jesus Christus. Das geschieht meines Erachtens eben auch vor allem dadurch, dass sie anders ist und anderes anbietet als das, was ich vielleicht an jeder Straßenecke oder in den Medien finde.

Von Jugendlichen hört man mitunter, dass durch die Zusammenlegung von Gemeinden auch sehr viel positive Jugendarbeit erschwert wird!

Hier sehe ich zunächst die schlichte Notwendigkeit der Zusammenlegung unserer Gemeinden. Es ist einfach unmöglich, bei einer abnehmenden Zahl von Gläubigen, also bei einer tief greifenden Veränderung nach innen, die äußere Form, die räumliche Gestalt, unverändert aufrecht zu erhalten. Das sieht jeder, der darüber nachdenkt, ein.
Vor dieser äußeren Notwendigkeit sehe ich jedoch vor allem auch innere Beweggründe, die diesen Wandel gebieten: Zunächst müssen Gemeinden, die sich pastoral versorgen lassen, wachsen – und ich betone noch einmal, dass ich dies vor allem innerlich und nicht zuerst rein äußerlich begreife – zu Gemeinden, in denen alle mitsorgen. Das ist oft noch nicht Realität geworden, weil immer noch viele nur versorgt werden wollen. Christsein heute bedeutet aber, sich vom Wort Gottes und der Eucharistie zu nähren, um diese Nahrung anderen weiterzugeben und nicht zu sagen: „Das macht alles der Pastor.“ Ein zweiter wesentlicher Grund für den Wandel ist durch das II. Vatikanische Konzil gelegt und stellt besonders die Ortskirche, also die Bistümer, in den Blick. Es ist noch zu wenig bewusst geworden, dass der Bischof keine Verwaltungsgröße und keine Art Regierungspräsident ist, sondern wirklich der Pastor der Gläubigen einer Diözese, dem zur Seite die Priester und Diakone und andere pastorale Mitarbeiter stehen. Innerhalb dieser Ortskirche hat der Bischof unter Berücksichtigung der personellen und finanziellen Ressourcen die Verkündigung des Evangeliums und die Spendung der Sakramente zu gewährleisten. Das Konzil lehrt uns hier also den Blick für das Ganze und auf das Miteinander, statt in den einzelnen Pfarreien – und darum geht es leider nur allzu häufig – um regionales Prestige, um Immobilien und andere Besitzstände zu streiten.
Darum glaube ich, dass die gegenwärtige Zeit mit ihren oft gewiss nicht leichten Veränderungen uns hilft, uns auf unseren wesentlichen Auftrag zu konzentrieren. Und dies kann für eine echte christliche Jugendarbeit nur positiv sein. Die Gegebenheiten der Zeit ermutigen uns, aufzubrechen in eine andere Form und Gestalt der Kirche, eine Art Sammlungsbewegung, die unseren Blick schärft für das „Evangelium des Lebens“ (vgl. 1 Joh 1,2) und uns ermutigt zur Sendung.

Die Weltwahrnehmung vieler nicht nur junger Menschen heute ist geprägt von Zukunfts- und damit verbundenen Existenzängsten, Leistungsdruck und der Allgegenwart des Wortes „Krise“. Welches Signal möchten Sie als Kirche hier setzen?

„Krise“ bedeutet ja immer „Zeit der Entscheidung“: In den Verunsicherungen dieses Lebens ist es unsere Aufgabe, den Blick auf Gott zu lenken, der in jeder Situation auf uns wartet. Damit setzt die Kirche das Signal unerschütterlicher Hoffnung. Ja, ich glaube tatsächlich, dass dies es ist, worauf die Menschen in diesem Zeitalter tief greifender kultureller, wirtschaftlicher, insgesamt existentieller Verunsicherungen am meisten warten: Auf Zeichen der Hoffnung. Jesus Christus ist dieses Zeichen, zu dem alle Menschen kommen können. Unsere einzige, ebenso schöne wie verantwortungsschwere Aufgabe besteht darin, Ihn sichtbar zu machen, Ihn zu bringen.
Wie gesagt, Krise bedeutet Zeit der Entscheidung. Diese muss dann natürlich letztlich jeder selbst treffen.

Wie sehen Sie die Stellung der Frau in der Kirche?

Wenn Sie mich nach der Stellung der Frau in der Kirche fragen, dann kann ich nur sagen, dass Frauen von Anfang an eine ganz tragende und entscheidende Rolle im Leben der Kirche gespielt haben, denken Sie nur an die Frauen, die Jesus gefolgt sind und ihm die Treue gehalten haben bis unter das Kreuz. Auch waren es Frauen, denen der Auferstandene als Ersten begegnet ist und zu Zeugen seines Lebens gemacht hat.
Insofern und mit Blick auf das hohe Engagement und vor allem die große Liebe, mit denen ungezählte Frauen das Leben unserer Pfarreien bereichern und mittragen, empfinde ich höchste Achtung und tiefe Dankbarkeit.

    ÖKUMENE
    „Eine „Mahlgemeinschaft“
    unter den gegenwärtigen Voraussetzungen wäre unredlich!“

Eine andere offene Frage, die viele engagierte Katholiken interessiert, betrifft die Mahlgemeinschaft zwischen evangelischen und katholischen Christen. Ist das Zeichen, das von einer solchen Mahlgemeinschaft – nach innen und außen – ausgehen könnte, nicht höher zu bewerten als die theologischen Unterschiede, die für viele Gläubige ohnehin nicht mehr nachvollziehbar sind?

Diese Frage kann ich nur mit einem klaren Nein beantworten. Die Feier der Eucharistie und darin der Empfang der heiligen Kommunion ist für uns ja weit mehr als ein Zeichen, sondern bringt auf tiefste und reale Weise die Einheit mit Gott und untereinander, also auch die Einheit der Kirche, zum Ausdruck, ja, realisiert und aktualisiert diese Einheit auf einzigartige Weise. Darum wäre eine „Mahlgemeinschaft“ unter den gegenwärtigen Voraussetzungen unredlich und damit auch unlauter vor Gott und voreinander. Wir würden uns und der Welt etwas vormachen, was nicht der Wahrheit entspricht. Dafür geht es hier einfach um zuviel.
Im Übrigen: Kann es, wo es um das hohe Gut des Glaubens und damit um die Wahrheit geht, ein Argument sein, ob vorgetragene Beweggründe für andere nachvollziehbar sind? Müsste es nicht auch das Bemühen geben, diese Gründe von innen her zu verstehen, vor allen Dingen wenn es sich um Gründe handelt, die aus dem Glauben kommen? Es kann hier nicht um eine Frage von Mehrheit oder Minderheit gehen.

    SCHULEN IN KIRCHLICHER TRÄGERSCHAFT
    „Als Kirche können wir die jungen Menschen
    vor allem auch in der Schule erreichen.“


Das Bistum Münster genießt einen hervorragenden Ruf und ein hohes Ansehen als „Schul-Bistum“. Wollen Sie diesen zukunftsorientierten Kurs beibehalten oder sogar ausbauen?

Der zukunftsorientierte Kurs ergibt sich für mich zunächst einmal aus der Sendung des Bistums Münster, ein wirksames Zeichen der Gegenwart Gottes in dieser Welt zu sein. Ich möchte alle Möglichkeiten fördern und sichern, damit die katholischen Christen im Bistum Münster an den Orten, an denen sie leben und arbeiten, Zeichen der Nähe Gottes sind. Die Schule ist ein besonders geeigneter Ort, um Kinder und Jugendliche erfahren zu lassen, dass wir als Christen an einen Gott glauben, der da ist, der mit den Menschen und für die Menschen lebt. Ich bin davon überzeugt, dass wir als Kirche nicht nur beauftragt sind, Ideale zu vertreten, sondern auch gesandt sind, Ideale im alltäglichen Leben umzusetzen. Das bedeutet für die schulische Bildungsarbeit, dass wir uns als Bistum Münster nicht nur konstruktiv und kritisch in die Diskussion um Bildung und Erziehung einschalten, sondern auch beispielhaft solche Ideale in der schulischen Bildungsarbeit umsetzen. Mit welcher Intensität dies in Zukunft geschehen kann, hängt nicht nur von meinem Wollen, sondern auch von den personellen wie materiellen Ressourcen in unserem Bistum ab.

Die Nachfrage auch bei uns in Geldern übersteigt bei weitem das derzeitige Angebot. Diejenigen, die keinen Schulplatz erhalten, fühlen sich abgelehnt und reagieren oft mit Frustration. Deshalb meine letzte Frage: Wäre ein nachfrageorientierter Ausbau des Angebotes nicht sinnvoll, nicht zuletzt auch deshalb, weil junge, religiöse Orientierung suchende Menschen zurzeit kaum besser erreicht werden können als in katholischen Schulen?

Es stimmt, dass wir als Kirche die jungen Menschen vor allem auch in der Schule erreichen können. Dies gilt nicht nur für die katholischen Schulen, da wir als Kirche ja grundsätzlich z. B. durch den Religionsunterricht sowohl im nordrhein-westfälischen als auch im niedersächsischen Teil des Bistums präsent sind.
Dass wir an unseren Bischöflichen Schulen nicht alle Schülerinnen und Schüler aufnehmen können, die sich bewerben, ist mit Blick auf den Einzelnen bedauerlich. Dies gilt besonders dann, wenn die katholische Schule bewusst wegen der religiösen Orientierung gewählt wird. Obwohl wir als Bistum so viele Schulen tragen wie kein anderes Bistum in Deutschland, können wir nicht flächendeckend einen Platz an einer katholischen Schule anbieten. Damit wären wir als Bistum sowohl personell als auch finanziell überfordert. Deshalb möchte ich als Bischof nicht nur unsere eigenen Schulen sichern, sondern auch alle Möglichkeiten fördern, die Präsenz von Kirche in den öffentlichen Schulen noch stärker zu profilieren. Dies kann über den Religionsunterricht, über Angebote wie „Tage religiöser Orientierung“ oder „Religiöse Schulwochen“ geschehen sowie über eine stärkere Vernetzung von Gemeinde und Schule.

Herr Bischof, ich danke Ihnen dafür, dass Sie sich die Zeit für unsere Fragen genommen haben!

Ewald Hülk
Foto: Bischöfliche Pressestelle


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