Überraschungen … angeregt vom Nikolaus

Klopf, klopf, klopf machte es in den vergangenen Tagen gleich mehrfach an den Türen der Klassenräume. Es stand zwar nicht der Nikolaus vor der Tür, aber immerhin hatte das, was dann in unseren Klassen passierte, sehr viel mit ihm zu tun. Denn der Impuls zu dem, was dann geschah, war am Nikolaustag von ihm ausgegangen, als die Schülerinnen und Schüler sowie die Studierenden unserer Schule von ihm mit Weckmännern beschenkt wurden … und zusätzlich einen persönlichen Brief erhielten, in dem er einen Herzenswunsch äußerte.
Doch lest am besten selbst:

Liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Lehrerinnen und Lehrer der Liebfrauenschule,

es ist ein langer Brauch, dass man mich an dem erkennt, was ich anderen geschenkt habe –selten haben mich die Menschen direkt gesehen. So soll es auch heute sein: Ich habe für jede Klasse heute Nacht einen Brief und eine große Tüte mit Weckmännern und noch ein Zettelchen, zu der ich später noch komme. Bevor ihr meinen Brief weiterlest, macht es euch erst einmal ein wenig gemütlich.

Fertig? Gut, dann lege ich los: Zunächst einmal ist es mir ein Anliegen zu sagen, dass ich mich bewusst für diesen selbst geschriebenen, ok, ich gebe zu getippten Brief für euch entschieden habe. Ich hätte euch auch über WhatsApp, Teams oder per Outlook erreichen können, wenn ich es bedienen könnte, aber ich habe mich dagegen entschieden. Aus einem ganz simplen Grund, den ich dir gern mit Hilfe einer Frage an dich indirekt erklären möchte: Wann hast du zuletzt ganz persönlich einen Brief an jemanden geschrieben oder hast einen Brief von jemandem, z.B. von einem geliebten Menschen, erhalten?

Ich habe das Gefühl, dass sich viele Menschen heute dafür zu wenig bis gar keine Zeit mehr nehmen. Aber entschuldigt, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Meine Zeit –das ist schon lange her. Gelebt habe ich nämlich im 3.und 4.Jahrhundert in der heutigen Türkei. Und obwohl das mehr als 1700 Jahre her ist, habe ich gehört, dass ihr immer noch an mich denkt. Erstaunlich. Mich würde echtinteressieren,wie ihr mich in Erinnerung habt und ob ich noch Thema bei euch (zuhause) bin.

Wisst ihr was? Manchmal habe ich Angst, dass ihr etwas aus mir macht, was ich gar nicht bin. Ich habe schon so seltsame Bilder von mir gesehen: Da bin ich mit einem Rentier unterwegs, verkaufe Coca Cola und habe einen viel zu großen Bauchumfang, ich bitte euch. Auch ich versuche auf meine Linie zu achten. Zumindest nehme ich es mir vor. Und so ein „Ho,Ho,Ho“ gehört übrigens auch nicht zu meinem Sprachschatz. Ein Bischof und Heiliger drückt sich intelligenter aus. Ich glaube, es ist Zeit, mal klarzustellen, worum es mir eigentlich ging. Ich hab einfach versucht zu sehen, wo Menschen in Not waren und zu überlegen, was ich persönlich dagegen tun kann. Da habe ich zum Beispiel mal einen Mann erlebt, der so arm war, dass er die Mitgift für seine drei Töchter, also das Geld für eine Verheiratung, nicht aufbringen konnte. Er war total verzweifelt und war nahe dran, die drei jungen Frauen zu Prostituierten zu machen. Stellt euch diese Not mal vor! Na ja, ich hatte gerade etwas geerbt. Und es gelang mir, den dreien in drei aufeinander folgenden Nächten einen großen Goldklumpen ins Zimmer zu werfen.

Aber ich habe gehört, dass ihr diese Geschichte von mir manchmal noch erzählt und euch deshalb auch Äpfel –als Zeichen für die drei Goldklumpen –schenkt, Strümpfe an den Kamin hängt oder Stiefel am Abend aufstellt. Find ́ ich gut, denn ich war ehrlich froh, dass ich den Vieren helfen konnte.

Eine andere Geschichte, die ihr vielleicht kennt, handelt von der Zeit, als ich schon Bischof war. In unserer Stadt Myra herrschte eine große Hungersnot. Besonders die Kinder und alten Menschen litten sehr. Ich sah, dass im Hafen ein Schiff vor Anker lag, das Getreide für den Kaiser in Byzanz geladen hatte, und ich bat den Kapitän, einen Teil seiner Ladung abzugeben, damit wir Brot backen konnten. Er hatte jedoch Angst vor dem Kaiser, denn alles sollte vorschriftsmäßig abgeliefert werden. Also lehnte er meine Bitte ab. Ich versprach ihm, dass er und seine Mannschaft keinen Schaden nähmen, wenn sie uns helfen würden. Woher ich diese Gewissheit nahm, weiß ich selbst nicht genau. Es war wie eine innere Stimme, die mir sagte, dass es so sei, und der ich folgen musste. Nachher habe ich gedacht, dass es ein Zeichen Gottes war, denn die Matrosen gaben uns von dem geladenen Getreide soviel ab, dass wir zwei Jahre genug zu essen hatten, und ich habe gehört, dass die Schiffe trotzdem mit der vorgeschriebenen Menge beim Kaiser angekommen sind.´

Ein Wunder? Vielleicht. Auf jeden Fall habe ich daraus gelernt, dass man seine eigenen Möglichkeiten nicht unterschätzen soll. Na ja,„Du warst ja auch Bischof“ werden viele von euch jetzt sagen, “ein heiliger, ein frommer Mann.“ Denkt nicht, dass ich nicht auch oft verzweifelt war und mich ohnmächtig gefühlt habe, wenn ich die ganze Not gesehen habe. Aber ich habe auch erlebt, dass ich selber etwas bewirken kann! Glaubt es oder nicht!

Apropos „bewirken können“. Jetzt kommen wir langsam zur Sache, um die es mir heute mit euch am meisten geht. Wenn ihr heute in eurer Schule an mich denkt und mich am Nikolaustag auch im Privaten feiert, ist das schön und gut. Aber Erinnerung, die bei schönen Geschichten, einem Brief und Weckmann-Essen stehen bleibt, ist mir ehrlich gesagt zu wenig. Ich fänd ́s schön, wenn ihr mal darüber nachdenkt, was ihr in eurer Umgebung –auch wenn gerade nicht Hungersnot ist– bewirken könnt. Ihr ganz konkret als Klasse. Und da habe ich einen ganz konkreten Vorschlag, der jetzt gleichzeitig in allen Klassen eurer Schule gehört wird: Ihr findet ein Zettelchen in der Tasche. Dieser Klasse sollt ihr in den nächsten Wochen bis Weihnachten eine Überraschung bereiten. Und umgekehrt überlegt eine andere Klasse für einen Tag eine Überraschung für euch. Also: Nutzt die verbleibende Zeit in dieser Stunde, um zusammen etwas für die anderen zu überlegen. Eine Überraschung kann vielfältig sein: Ihr könnt etwas gestalten oder vorlesen, etwas backen oder eine Kleinigkeit kaufen, in der anderen Klasse etwas dekorieren oder oder oder. Seid kreativ, geht aus eurer Komfortzone raus und tut etwas, das von Herzen kommt.

Ich wünsche euch gute Ideen und Freude dabei, etwas gemeinsam und füreinander zu tun –beschenkt werden und weiterschenken- das ist ganz in meinem Sinne und macht einen glücklich. In diesem Sinne: eine gesegnete Adventszeit und lasst euch die Weckmänner schmecken!

Euer Nikolaus

Fotos: Ewald Hülk


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