Sexualität ist nicht behindert!

Sexualität bei Menschen mit Behinderung: Wie gehe ich als Heilerziehungspfleger*in damit um? Eine Frage, die sich viele beruflich in der Behindertenhilfe Tätige stellen. „Es ist ein besonderes Thema, welches deshalb auch der besonderen Beachtung und Begleitung bedarf“, so Jan Pellens, Referent der Lebenshilfe Viersen e.V.

Am 21.09.2021 durften wir, die HEP/ B, Herrn Jan Pellens begrüßen. Er ist Kultur- und Sexualberater für Menschen mit Behinderung. Zunächst interessierte es uns, wie Herr Pellens zu diesem besonderen Beruf gekommen ist. Herr Pellens beschrieb seinen Werdegang, von der Arbeit im Wohnhaus für Familien mit Behinderung, welche ihre Kinder unter Betreuung dort großzogen, bis hin zum uns bekannten Arbeiten in einem Heim für Menschen mit Behinderung und der nun aktuellen Tätigkeit als Koordinator für Fortbildungen sowie der Kultur- und Sexualberater der Lebenshilfe Kreis Viersen e.V..

Aber was macht es so besonders Kultur- und Sexualberater für Menschen mit Behinderung zu sein? Sexualberatung behandelt Fragen zu den Problemen mit der Sexualität. Es gibt unterschiedliche Richtungen. Das Angebot der Sexualberatung richtet sich an Einzelpersonen und Paare (unabhängig welcher sexuellen Orientierung), die Fragen zu ihrer Sexualität haben oder unter sexuellen Störungen leiden. In die Sexualberatung kommen auch Ratsuchende mit Fragen zur sexuellen Orientierung oder sexuellen Identität. Besonders Menschen mit Behinderung fehlt oftmals die notwendige Aufklärung über das Thema. „Daher ist es als Sexualbeauftragter meine Aufgabe ein niederschwelliges Angebot in Bezug auf Beratung und Aufklärung den Menschen zu bieten“, so Jan Pellens.

Ganz zu Beginn machte Herr Pellens deutlich, dass Sexualität zum Menschsein dazu gehört. Egal ob Mensch mit oder ohne Behinderung. Es darf kein Mensch aufgrund seiner Behinderung benachteiligt werden.

Im weiteren Verlauf des besonderen Besuchs von Herrn Pellens betonte er, dass klare Grenzen in der Arbeit mit dem Thema Sexualität gefragt sind. Als angehende Heilerziehungspfleger*in konnten wir während unserer Praktika bereits einige Erfahrungen zu dem Thema sammeln.

Zu der für uns angehenden Heilerziehungspfleger*innen besonders relevanten Frage, wie der Umgang mit dem Thema in der Praxis bestenfalls gestaltet wird und welche Grenzen wir ziehen müssen, sagte Herr Pellens: „Zunächst müssen Betreuer*innen für dieses Thema sensibel gemacht werden, sie müssen Signale deuten und den daraus resultierenden Hilfebedarf ableiten können. Und diese Hilfe ist dann den Menschen mit Behinderung anzubieten. Die Hilfe und Unterstützung sind an die individuellen Bedürfnisse, Förderbedarfe und Wünsche des Menschen anzupassen. Um Sexualität selbstbestimmt leben zu können, ist es unter anderem Notwendig, eine Wahl treffen zu können. Damit dies überhaupt denkbar ist, muss der Mensch wissen, welche Möglichkeiten er hat. Ihm diese Möglichkeiten aufzuzeigen und vorzustellen, ist meine Aufgabe als Begleiter. Auch dies geschieht in der Regie des Menschen mit Behinderung, sie*er bestimmt, was vermittelt wird. So kann der Mensch eine echte Wahl treffen und seine Selbstwirksamkeit im gesamten Prozess erfahren.“

Jedoch hat man als Betreuer keine Zuständigkeit im Bereich der Nähe und Emotionalität. Betreuer sind keine Freunde und keine Liebespartner für ihre Schutzbefohlenen. Dabei ist es wichtig, dass immer ein gesundes Nähe- und Distanzverhältnis im Vordergrund steht. Zudem ist es eine Straftat, bei den Klienten/ Bewohnern/Schülern/Patienten etc. eine Grenze zu überschreiten. Daher ist es hinsichtlich des Themas Sexualität besonders wichtig, mit dem gesamten Kollegium oder Team über die Situation zu sprechen. Bei einer Grenzüberschreitung ist es vor allem bedeutsam, im Auge zu behalten, beim wem, durch wen und inwiefern die Privatsphäre und Grenze des Betroffenen überschritten wurde.

„Auch ein Nein hat etwas Positives. Menschen mit Behinderung haben häufig in ihrer Biographie erlebt, dass ihre Grenzen in nicht auf angemessene Art und Weise geachtet worden sind. Lebt man ihnen nun vor, dass nicht alles selbstverständlich ist und wir Menschen Grenzen haben und es gut ist, diese aufzuzeigen, können sie dies für sich übernehmen.“ So antwortete Herr Pellens auf die Frage, ob man mit einem Nein auf Fragen der Klienten antworten darf. Eine klare Grenze ist es bei dem Thema Sexualität, wenn es für den Klienten lustbereitend und/ oder stimulierend wird.

Herr Pellens gab uns einige wichtige Tipps für die Praxis mit, welche uns ermöglichen sollen, klare Grenzen im Berufsalltag setzen zu können, so zum Beispiel:
• Ein Nein ist ein Nein, sowohl vom Klienten als auch in der Position des Betreuers.
• Ein konsequentes Arbeiten und Konsequenz im Team sind wichtig, um den Klienten im Lernprozess zu unterstützen.
• Mach deine Rolle klar! Du bist kein Freund.
• Verhalte dich in gesunder Distanz.
• Passe deine Wortwahl dem Arbeitsklientel an. Auch wenn deine Klienten in deinem Alter sind, so bist du der Betreuer.
• Nehme in einer beratenden Situation die bekannten Beratungspositionen ein, d. h. achte auf eine professionelle Körperhaltung, um keine falschen Signale an deinen Gegenüber zu senden.

Um den sehr informativen Tag abzurunden, stellte Jan Pellens verschiedene Materialien, wie die PAOMI-Genitalien sowie Literatur zur Sexualberatung vor. In einem sehr anschaulich gestalteten Materialkreis durften wir aktiv und selbstwirksam die verschiedenen Materialien und die Literatur in Augenschein nehmen. Zudem erläuterte Herr Pellens die verschiedenen Funktionen und Beratungsmethoden.

Den Austausch zu diesem sehr besonderen und wichtigen Thema erlebten wir stützend und bestärkend in unserer praktischen Arbeit mit Menschen mit Behinderung. Wir konnten viele Hilfestellungen und Handlungsansätze für unsere berufliche Zukunft und auch darüber hinaus mitnehmen.

Text: Shelly-Cassia Ritter (HEP/B)
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