Der AH 12/GW-Kurs will`s wissen: Welche Chancen und Risiken birgt die Humangenetik im Hinblick auf seltene Erkrankungen?

Eine Humangenetikerin stand uns Rede und Antwort

Am Mittwoch, den 12.02, bekamen wir in unserem Unterricht des Faches Gesundheitswissenschaften Besuch von Claudia Behrend. Sie ist eine Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und zugleich Humangenetikerin. Nachdem wir in den Wochen zuvor schon einige sehr interessante Gespräche mit Personen führen konnten, die von einer seltenen Erkrankung betroffen sind, war es nun sehr spannend, der Entstehung und Diagnostik von seltenen Erkrankungen auf die Spur zu kommen – und dies mit der international tätigen Expertin Frau Behrend, die im letzten Jahr sogar ein englischsprachiges Fachbuch mit ausländischen Kollegen veröffentlicht hat.

Zunächst zu ihrer Person:
Bevor Claudia Behrend am Institut für Humangenetik an der Universität Düsseldorf die Leitung der Zytogenetik übernahm, studierte sie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. 1998 schloss sie Ihre Facharztausbildung Gynäkologie und Geburtshilfe an den Städtischen Kliniken Duisburg ab und arbeitete bis zum Sommer 2018 als niedergelassene Ärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe – Medizinische Genetik in eigener Praxis. Seit Juli 2018 arbeitet Frau Behrend für Zotz/Klimas im MVZ Düsseldorf-Centrum sowie den dazugehörigen Zweigstellen Krefeld und Duisburg.

Frau Behrend stellte sich uns direkt ab der ersten Sekunde mit einem breiten Lächeln vor. Sie war von Beginn an offen für jede Frage, die uns auf dem Herz lag und ging intensiv darauf ein. Wir lernten viel über die Humangenetik als Teilgebiet der Genetik, das sich speziell mit dem Erbgut des Menschen beschäftigt, aber erfuhren auch viel darüber, welche Herausforderungen ihr jeden Tag begegnen und wie sie persönlich damit umgeht.

Als eine Säule der humangenetischen Arbeit nannte Frau Behrend uns die Diagnostik und beschrieb die diagnostischen Möglichkeiten wie Chromosomenanalyse, Array-CGH (hier wird das gesamte Erbgut auf sehr kleine Chromosomenstückverluste bzw. -zugewinne untersucht), Einzel-Gen-Analyse (um gezielt Mutationen in einzelnen Genen zu identifizieren, wenn z. B. der Verdacht auf eine spezifische Erkrankung besteht oder der Familienstammbaum auf einen spezifischen Gendefekt hinweist) oder die Gen-Panel-Diagnostik oder Exom-Diagnostik (in einem Ansatz können eine Vielzahl von Genen oder das gesamte Exom untersucht werden). Diese muss man natürlich als Humangenetikerin kennen und beherrschen. Und man dürfe nicht vergessen, dass man auch die Gefahren im Blick haben muss, die durch umfangreiches Wissen infolge der Diagnostik entstehen, wo wir ausführlich drüber sprachen. Nicht umsonst gäbe es auch ein „Recht auf Nicht-Wissen“.

Aber insgesamt können man schon sagen, so Frau Behrend, dass die Humangenetik viele Vorteile im Hinblick auf Seltene Erkrankungen habe. So kann ein zukünftiger Krankheitsverlauf besser abgesehen werden und mögliche Spätfolgen können zu einem frühen Zeitpunkt erkannt werden. Auch können teure und belastende Untersuchungen vermieden werden, wenn sie sich schon vorher mit der Diagnose als unnötig herausstellen. Darüber hinaus ermöglicht das Kennen der eigenen Erkrankung oder der des Kindes das Risiko für die Nachkommen im Rahmen der Familienplanung einzuschätzen. Ferner ist die gut abgesicherte Diagnose auch die Voraussetzung für eine zielgerichtete Therapie, die leider bisher nur für einige wenige genetische Erkrankungen verfügbar sind.

Das Thema Familienplanung und Beratung von Schwangeren nimmt in der ärztlichen Arbeit von Frau Behrend viel Raum ein. So erfuhren wir, dass sie täglich (schwangere) Frauen bzw. Paare bei verschiedensten Themen berät, wie beispielsweise Kinderwunsch, Fehlgeburten und Altersrisiken. Sie erläuterte uns zudem, dass zu allem Schönen in diesem Beruf – vor allem über die Begleitung bei „normalen“ Schwangerschaften – auch unangenehme Aufgaben gehören, wie zum Beispiel das Informieren über bevorstehende Fehlgeburten, die sich aus den diagnostischen Erkenntnissen ergeben haben, oder darüber, dass das erwartete Kind eine Entwicklungsstörung oder eine seltene Erkrankung haben werde. Außerdem kommen viele Schwangere zu ihr, die bereits ein Kind mit einer genetischen Erkrankung haben, und wissen wollen, ob auch die jetzige Schwangerschaft zur Geburt eines beeinträchtigen Kindes führen wird. Hier sei viel Fingerspitzengefühl gefragt und ganz besonders eine intensive Beratung, um aufzuzeigen, welche Hilfsangebote es alles gibt.

Auch gehört es zu ihren Aufgaben, mit Familien über die möglichen Ursachen für das Vorliegen einer seltenen Erkrankung zu sprechen und darüber aufzuklären, ob auch bei weiteren Schwangerschaften ein Risiko besteht oder nicht und welche Hilfsangebote es gibt. Hier ging sie dann besonders auf die seltenen Erkrankungen ein, die wir durch die Präsentationen unserer Mitschüler/innen und durch die Besuche von Betroffenen schon kennengelernt hatten (Tourette-Syndrom, Osteogenesis imperfecta, Syngap1-Syndrom usw.) – doch Details würden hier den Rahmen sprengen. Menschen mit seltenen Erkrankungen sind die „typischen“ Patienten in der Humangenetik, wie Frau Behrend sagte. Der Grund hierfür: Bei rund zwei Dritteln der seltenen Erkrankung liegt eine genetische Ursache zugrunde.

Frau Behrend verdeutlichte in unserem Gespräch, dass jede Schwangere generell ein gesundes Kind auf die Welt bringen möchten, aber dass es dafür nun mal keine Garantie gäbe. Eine wichtige Aufgabe sieht sie deshalb auch darin, Betroffene an spezielle Selbsthilfegruppen zu vermitteln oder sie einfach mit anderen Betroffenen zusammenzuführen, um sie erfahren zu lassen, dass Leben (auch) mit Behinderung lebenswert ist bzw. sein kann. Die Berichte von Frau Behrend über ihre Erfahrungen in Wissenschaft und Forschung zu seltenen Erkrankungen, aber vor allem auch über den direkten Kontakt mit Ratsuchenden, waren für uns alle sehr spannend.

Dazu gehörte auch der Bericht über eine Ratsuchende, die zwei Brüder hat. Diese Brüder leider an einer seltenen Erkrankung, bei der die Kinder erst ganz normal geboren werden, sich jedoch ab dem 3./4. Lebensjahr wieder zurück entwickeln und alle Fähigkeiten verlieren, die sie bis dahin gelernt haben. Diese Frau wusste, dass sie Trägerin dieser Erkrankung ist und war nun, als sie Frau Behrend aufsuchte, ungeplant schwanger. Sie würde das Kind nicht kriegen wollen, wenn es ein Junge ist, da dieser die Erkrankung haben wird.

Wie die Laborergebnisse zeigten, handelte es sich aber um einen Jungen. In solchen Fällen ist neben allem medizinischen Wissen rund um die Humangenetik ganz viel Beratungskompetenz und Menschlichkeit gefragt. Letztlich hat sich die Betroffene nach vielen Gesprächen schließlich dazu entschieden, das Kind doch zu bekommen. Sie ist aktuell noch schwanger, steht in intensivem Austausch mit Frau Behrend und ist sich mittlerweile sicher, sich für den richtigen Weg entschieden zu haben.

Die zwei Unterrichtsstunden mit Frau Behrend waren sehr informativ und trotz der hohen Fachlichkeit konnten wir ihr gut folgen. Wir haben viel über Humangenetik allgemein und vor allem Hintergrundinfos zum Entstehen der seltenen Erkrankungen gelernt und auch darüber, wie es ist, in solch einem Arbeitsfeld zu arbeiten, wo es immer um so Existenzielles wie Leben und Tod geht.

Text: Franziska Wiegmann (AH12/F)
Fotos: Andreas Mäteling


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