„Mein Leben mit Dize“: Bewegender Besuch eines von Schizophrenie Betroffenen

Am 13.02.2020 bekamen wir, die Klasse FH12/G3, Besuch von einer Sozialarbeiterin namens Friederike Brendel-Grünewald, eine ehemalige Schülerin unserer Schule. Sie betreut ambulant psychisch und suchtkranke Menschen, das heißt sie geht in die Wohnungen und Häuser der Betroffenen. Einer ihrer Klienten ist Christopher (30 J.), der an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie erkrankt ist und dankenswerterweise gemeinsam mit Frau Brendel-Grünewald zu uns gekommen ist, um uns am eigenen Beispiel vom Leben mit dieser Erkrankung zu berichten.

In den Wochen zuvor hatten wir uns im Psychiatrieunterricht mit der Krankheitslehre zum Thema Schizophrenie(n) befasst, aber zur Auffrischung des Gelernten kamen uns die einführenden Worte von Frau Brendel-Grünewald ganz recht. So rief sie nochmals in Erinnerung, dass es sich bei den Schizophrenien um psychische Störungen handelt, bei denen die Gedanken und Wahrnehmungen der Betroffenen verändert sind. Hierbei ist wichtig zu wissen, dass es meist ein langsamer und schleichender Prozess ist, der so lange fortschreitet, bis die Psychose ihren Höhepunkt erreicht hat und dass es verschiedene Formen gibt, weshalb man auch nicht von der Schizophrenie sprechen kann. Auch wurden die unterschiedlichen Auslöser wie Stress, Drogen, Isolation, Traumata und genetische Faktoren nochmals angesprochen und wir ergänzten die Inhalte, die uns aus dem vorangegangenen Unterricht besonders wichtig erschienen (wie z. B. zur Sicht der Gesellschaft auf die Erkrankung und zur Bedeutung der regelmäßigen Medikamenteneinnahme).

Nach der allgemeinen Auffrischung berichtete dann unser Gast Christopher ganz offen über sein Leben mit paranoider Schizophrenie. So erfuhren wir an seinem Beispiel einmal mehr, dass eine psychische Störung selten alleine auftritt. So ist es nämlich auch bei Christopher, der außerdem an ADHS, Depressionen und an einer bipolaren Störung erkrankt ist – jedoch ist die Schizophrenie am stärksten ausgeprägt. Während einer Psychose hat er Dinge gehört, gesehen und gefühlt, die nicht real sind. Für ihn waren sie im Moment jedoch durchaus real. Den Anfang nahm bei ihm alles, wie er uns erzählte, mit exzessivem Drogen- und Alkoholkonsum. Zu Beginn bemerkte er den schleichenden Prozess der Erkrankung nicht, aber irgendwann traten massive akustische Halluzinationen in sein Leben und wurden immer mehr zur Qual.

Diese Halluzinationen machten sich durch ein imaginäres Wesen bemerkbar, dass er „Dize“ nannte. Er erzählte, dass Dize während psychotischer Phasen hinter einer Heizung und in den Ecken seiner Zimmer auftauchte – mit Drogen in der Hand. Er hörte insgesamt fünf Stimmen und davon ist Dize die „Hauptstimme“. Dize hat – während dieser Phasen – in Christophers Vorstellungen einen 500m² Keller, gefüllt mit Sterbebetten, die Dize gestohlen hat. Außerdem verfolgt Dize ihn in einer Psychose auf Schritt und Tritt und springt von Ecke zu Ecke. Irgendwann ist Christopher bewusst geworden, dass er mit dem Drogen- und Alkoholkonsum aufhören muss, nicht zuletzt, um ein guter Vater für seine Kinder sein zu können. Daher hat er sich nach dem Bewusstwerden seiner Erkrankung dafür entschieden, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

In der Einrichtung, in der er seinen Entzug gemacht hat, lernte er einen guten Freund kennen. Neben den Therapeuten hat ihm auch dieser Kontakt durch viele Gespräche und Verständnis sehr geholfen. In dieser Zeit der stationären Behandlung begann er – ärztlich verordnet – mit der Einnahme sehr starke Tabletten. Dabei handelte es sich um so genannte Antipsychotika, die die Aktivität bestimmter Nervenzellen im Gehirn hemmen. Bei der Erkrankung handelt es sich nämlich um eine Stoffwechselerkrankung im Gehirn, die – ähnlich wie Diabetes – ab einem gewissen Grad medikamentös behandelt werden muss. Diese Medikamente wirken beruhigend und mildern Halluzinationen und Wahnvorstellungen. Ein „normaler Mensch“ hätte laut Christopher nach der Einnahme eigentlich nur noch schlafen müssen. Aber ohne Medikamente ginge es halt nicht.

Hier liegt aber, so ergänzte Frau Brendel-Grünewald, das große Problem. Klienten setzen die Medikamente nämlich leider häufig nach einiger Zeit und bei Besserung der wahnhaften Symptome und dem Rückgang von Angstzuständen von sich aus ab, weil sie denken: „Es geht mir ja schon deutlich besser, ab jetzt bleibe ich bestimmt symptomfrei – und zack ist die Wahnerkrankung wieder da! Dies ist der alltägliche Kampf im Betreuten Wohnen.“

Dummerweise habe auch er, so Christopher, die Medikamente zwischendurch mal abgesetzt, aber dann sei es sofort wieder zu einer psychotischen Krise mit heftigsten Wahnvorstellungen gekommen. Auf die positive Wirkung (gleich noch mehr dazu) kann man einfach nicht verzichten, so seine Erkenntnis, aber es gibt halt auch die unerfreulichen Nebenwirkungen. Hierzu gehört zum Beispiel im Fall von Christopher, dass er im Laufe der Zeit seine gesamte Kreativität verloren hat. Dies ist besonders bedauerlich, denn Christopher hat unter anderem seine eigenen Tattoos designt. Eines dieser Tattoos (siehe Foto) soll Dize darstellen. Durch diese Art, mit Dize umzugehen, habe er ihn sich „handhabbar“ gemacht.

Andererseits ermöglicht die unverzichtbare positive Wirkung der Antipsychotika in Verbindung mit der ambulanten Betreuung und Therapie, dass Christopher seit 7 Jahren mit seiner Frau und den beiden Kindern zusammenleben kann – was nicht heißt, dass das wahnhafte Erleben von Zeit zu Zeit nicht nochmal aufflackert, so zuletzt kurz vor Weihnachten. Liebend gerne würde er auch arbeiten gehen, doch geht dies wegen der Gefahr nicht, dass beruflicher Stress sofort wieder eine psychotische Krise hervorrufen könnte.

Die bewegenden Unterrichtsstunden endeten mit einem unvergesslichen Appell von Christopher und Frau Brendel-Grünewald: „Schaut niemals weg, wenn jemand auffällige Verhaltensweisen zeigt! Betroffene Menschen benötigen eure Aufmerksamkeit und gegebenenfalls auch eure Hilfe bei der Vermittlung professioneller Dienste.“ Hierzu sollten wir dann in einer der nächsten Stunden mehr erfahren, als sich das sozialpsychiatrische Zentrum (Verein Papillon e. V.) vorstellte.

Wir empfanden es als sehr bemerkenswert, wie offen Christopher über sein Leben mit der Schizophrenie sprechen konnte und auch sehr interessant, soviel von der sozialen Arbeit von Frau Brendel-Grünewald zu erfahren, die ohne intensives medizinisches Wissen rund um psychiatrische Erkrankungen nicht möglich wäre. Am Ende waren bzw. sind wir extrem dankbar für den Besuch!

Text: Phil Erkens, Laxsika Kumaralingam, Tatjana van Düren (FH12/G3)
Fotos: Andreas Mäteling


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