Glasknochen – und trotzdem hart im Nehmen

Erfahrungsbericht eines Betroffenen zum Leben mit Osteogenesis Imperfecta („Glasknochenkrankheit“)

Im Rahmen unseres Unterrichtes im Fach Gesundheitswissenschaften bei Herrn Mäteling versuchten wir, möglichst vielfältige Einblicke in das Thema „Seltene Erkrankungen“ zu bekommen, die Krankheiten an sich, aber vor allem auch das Leben der Betroffenen aus ihrer Perspektive kennenzulernen und noch dazu über soziale Netzwerke Aufmerksamkeit für die Seltenen Erkrankungen zu erzeugen, die auch als „Waisen der Medizin“ bezeichnet werden. Ganz bewusst wollten wir mit unseren Erfahrungen aus dem Unterricht nach außen gehen und so die Gesellschaft für mehr Toleranz gegenüber den Betroffenen und in der Fachöffentlichkeit auch als „Seltenen“ Bezeichneten zu sensibilisieren. Deshalb schreiben wir ganz bewusst auch diesen Artikel für die Homepage und das Jahrbuch.

Am 15.01. hielten wir in der ersten halben Stunde ein Referat über das Thema Osteogenesis Imperfecta, das wir vorher intensiv mit Internet- und Fachbuchrecherche erarbeitet hatten, und durften anschließend den von uns eingeladenen Gast Herrn Rouven Dalmer aus Bonn begrüßen. Herr Dalmer ist selber Betroffener und der erste Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für OI in NRW. OI ist die Abkürzung für Osteogenesis Imperfecta, umgangssprachlich auch als Glasknochen-Krankheit bekannt. Bei dieser seltenen Erkrankung unterscheidet man verschiedene Typen. Die ersten fünf sind noch relativ gut abzugrenzen, jedoch gibt es bei diesen schon gravierende Unterschiede. Über die Krankheit selber wollen wir hier aber aus Platzgründen nicht so viel schreiben, sondern mit Blick auf unser Anliegen lieber mehr über das Leben von Herrn Dalmer konkret.

Er selber hat Typ drei, dabei handelt es sich um eine Spontanmutation, was bedeutet, dass seine Eltern beide nicht betroffen sind und seine Schwester ebenfalls nicht. Die Diagnose wurde nach der Geburt gestellt, da er bereits mit gebrochenen Armen und Beinen auf die Welt kam. Eine Tatsache, die wir uns kaum vorstellen mochten. Die Ärzte waren zunächst der festen Überzeugung, er würde nicht lange leben, aber heute steht er – wovon wir uns überzeugen durften – mitten im Leben.

Seit seinem 6. Lebensjahr sitzt Herr Dalmer im Rollstuhl. Seine Schulzeit hat er in einem Internat verbracht, da man dort, wie er sagte, selbstständiger und in Gemeinschaft leben konnte. Ihm hat es nicht gefallen, dass er Zuhause ziemlich isoliert gelebt hat, weil sich Gleichaltrige eher ferngehalten haben. Außerdem trägt er ein Hörgerät, da die Knochen im Ohr (Hammer, Amboss und Steigbügel) bei ihm schon relativ schnell zerstört waren.

Sein Auto wurde so umgebaut, dass er es benutzen kann. Die Fußpedale sind – wie wir uns selber auf dem Parkplatz anschauen durften – hoch gesetzt, er besitzt einen angepassten Sitz und im Kofferraum befindet sich eine Hebebühne. Zudem besitzt Herr Dalmer eine Art Zugmaschine die ihn im Rollstuhl sitzend zieht, falls er weite Strecken zum Einkaufen oder ähnlichem zurücklegen muss. Für die Beschaffung von Hilfsmitteln aber brauche man einen langen Atem, weil man diese alle selber beantragen muss und nicht immer wird alles sofort genehmigt. Hilfsmittel aber seien extrem wichtig zum Erhalt der Lebensqualität.

In seiner Freizeit nimmt Herr Dalmer am Rollstuhlsport teil, er spielt Basketball. Allerdings spielt sein Team nicht mit dem normalen Basketball, da dieser zu hart ist und sofort zu Knochenbrüchen führen würde. Des Weiteren geht er gerne ins Kino, mit Freunden essen, spielt gerne Karten und reist gerne.

Der unnötigste Knochenbruch, den er erlebt hat, war vor drei Jahren der Bruch des Oberschenkelhalsknochen, so Herr Dalmer. Er weiß bis heute nicht, wie das passiert ist. Seine Eltern haben ihm außerdem früher als Kind, als sie ihn angezogen haben, aus Versehen mal den Oberschenkelknochen gebrochen. Trotz der vielen Brüche in seinem Leben hatte er noch nie einen Bruch am Kopf, meistens waren die Brüche eher am Oberarm oder irgendwo an den Beinen. Eine genaue Zahl von den bisher erlebten Knochenbrüchen konnte er nicht nennen, weil er irgendwann aufgehört hat, diese mitzuzählen. In der Pubertät waren es über 30. Nach der Pubertät haben die Knochenbrüche aber abgenommen, weil sich da der Stoffwechsel ändert, was die Knochen etwas stabiler werden lässt.
Eine wichtige Rolle im Leben spielt auch die Medikation und die Ernährung. Herr Dalmer hat 4- 5 Jahre lang Bisphosphonate genommen, es hat sich der Knochen dadurch aber nicht großartig verbessert, weswegen er dies später abgesetzt hat. Bei der Ernährung gibt es laut Herrn Dalmer keine Nahrungsmittel, die den Knochenaufbau verstärken könnten. Cola aber ist zum Beispiel nicht so gut, da durch das darin enthaltene Phosphat die Knochen abgebaut werden. Am besten ist eine ausgewogene Ernährung.

In beiden Ober-, Unterschenkeln und in beiden Oberarmen wurden ihm Teleskopnägel eingesetzt. Diese stabilisieren den Knochen von innen, also wirken vorbeugend gegen Knochenbrüche und helfen auch gegen Verformungen. Er bekommt Physiotherapie, das ist von zentraler Bedeutung, da aufgebautes Muskelgewebe den Knochen vor Knochenbrüchen schützt. Hier ist auch sehr viel Disziplin von ihm gefordert, da er mehrmals in der Woche zur Therapie muss.

Den Alltag gestaltet Herr Dalmer soweit wie möglich selbstständig. So wohnt er zum Beispiel auch alleine in einer Wohnung, in der lediglich die Möbel etwas niedriger sind, sonst ist alles soweit „normal“ in seiner Wohnung. Morgens kommt der Pflegedienst und einmal pro Woche eine Haushaltshilfe. Er arbeitet in einer IT- Abteilung und erlebt in seinem Berufsalltag keine Einschränkungen, außer körperlich, wenn zum Beispiel etwas getragen werden muss.

Auf die Frage einer Mitschülerin, was er machen würde, wenn er mal einen Tag keine Behinderung haben würde, sagte er spontan: „Wildwasserrafting wäre was, auf jeden Fall irgendein Abenteuersport.“

Herr Dalmer hat uns Schülerinnen und Schülern einen sehr detaillierten Einblick in sein Leben mit OI gegeben und uns mit seiner Energie unglaublich beeindruckt. Wieder einmal wurde im Laufe unserer Unterrichtseinheit unser Blick auf ein Leben mit einer Seltenen Erkrankung bzw. mit Behinderungen allgemein geweitet und bei vielen sicher auch verändert. Außerdem ist er ein unglaublich positiver, sympathischer Mensch, der die Herausforderung des Lebens mit seiner Erkrankung aktiv angeht und sehr gerne lacht. Der Unterrichtsbesuch war eine große Bereicherung für uns und nur möglich durch seine Bereitschaft, so über seine Krankheit zu sprechen.

Herr Dalmer bestärkte uns auch nochmal darin, mit unserem Wissen und unseren Erfahrungen aus dem Unterricht nach außen zu gehen, denn alle Betroffenen würden davon profitieren, wenn möglichst viele in der Gesellschaft Ahnung von den Seltenen Erkrankungen haben und so dann unverkrampfter mit Betroffenen umgehen.

Text: Maya Moeselaken & Emma Willems (AH12/S2)
Fotos: Leyla Gülsen (AH12/S2), Andreas Mäteling


Hinterlasse einen Kommentar