Sich dem Thema Tod auf kreative Weise nähern: Schüler gestalten Seidentücher

Junge Menschen gestalten Seidentücher für die Beisetzung stillgeborener Kinder: Sich dem Thema Tod auf kreative Weise nähern

Wer die bunten Tücher sieht, der käme bei all den Farben und Motiven nicht auf die Idee, dass es sich dabei um wichtige Accessoires für die Beerdigung stillgeborener Kinder handelt. Erst recht nicht, wenn er dabei all die lebendigen und fröhlichen Gesichter der jungen Menschen sieht, die diese Seidenstoffe gestaltet haben.

Bereits zum zweiten Mal haben angehende Fachabiturientinnen und Fachabiturienten der Klasse 12 des Berufskollegs der Liebfrauenschule im Rahmen eines Unterrichtsprojektes mit ihrer Lehrerin Birgit Veltjens-Nühlen Seidentücher bemalt. Hervorgegangen war diese Idee aus einer Unterrichtseinheit mit Lehrer und Schulseelsorger Andreas Mäteling, in der sich die Teilnehmer mit verschiedenen Aspekten rund um das Thema „Tod und Sterben“ befasst haben. Dazu gehörte auch die Auseinandersetzung mit sogenannten „stillgeborenen Kindern“, also Kindern, die teilweise nur wenige Wochen im Mutterleib gelebt haben, die dann schon im Laufe der Schwangerschaft sterben und ohne je geschrien zu haben, also „still“, zur Welt kommen.

Was veranlasst junge Menschen, deren Lebensthemen doch eigentlich ganz andere sind, sich dennoch mit dieser schweren, oft tragischen Thematik auseinanderzusetzen? Sicher spielt da das Engagement der beiden genannten Lehrpersonen eine entscheidende Rolle, aber aus Sicht eines Klinikseelsorgers, dürften noch weitere Motive zugrunde liegen. Auch wenn der Tod stillgeborener Kinder ein Tabuthema zu sein scheint, so kommt er doch viel häufiger vor, als angenommen. Viele Frauen erleiden in ihrem Leben eine Fehlgeburt – und so war es nicht verwunderlich, dass sich auf Nachfrage die meisten der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler meldeten und bestätigten, dass es in der eigenen Familie, bei Großmutter, Mutter oder Tante dieses Schicksal gibt und dass sie daher eine innere Verbindung zu dieser Lebensfrage haben.

Zudem sind die jungen Menschen in einem Alter, in dem eine eigene Schwangerschaft zwar noch nicht akut ist, aber auch nicht mehr in allzu weiter Ferne liegen muss. Die Schülerinnen und Schüler spüren, dass sie durchaus selbst einmal davon betroffen sein könnten. Und durch diese ganz persönliche Berührung stellen sich Fragen nach Trauer, Abschied nehmen und einem Leben nach dem Tod auf der einen, und Familie, Sinn und Lebensplanung auf der anderen Seite plötzlich noch einmal ganz anders. Gott sei Dank gehen junge Menschen aber mit einer großen Unbefangenheit und Kreativität an solche Fragen.

Es war faszinierend, wie sich die Auseinandersetzung mit der impliziten Grundfrage, ob und wie das Leben nach dem Tod weitergeht, in der Motivwahl widerspiegelte: Unterwasserlandschaft, Weltraum, Sonnenuntergang… Und die Schwere und Tragik des Verlustes eines Kindes wurde unbewusst aufgefangen in hoffnungsfroher Farbigkeit und Leichtigkeit: Federn, Ballone, Vögel… Ob biblische Motive wie Taube und Regenbogen oder das Sehnsuchtsmotiv des von der Sonne beschienenen Hauses, immer kann der Betrachter das Bestreben herausspüren, den betroffenen Eltern Trost und Zuversicht spenden zu wollen.

Als Seelsorger habe ich großen Respekt vor der Bereitschaft und der Ernsthaftigkeit junger Menschen, sich solchen Themen zu stellen. Sie tun dies – auch wenn es im Unterricht geschieht – immer zunächst für sich selbst. Aber eben auch für andere: Die Seidentücher nutzen wir bei den vierteljährlichen Beisetzungen der stillgeborenen Kinder des St.-Clemens-Hospitals. Die Kinder werden vor dem Verschließen des Sarges jedes Mal von einem dieser Tücher umhüllt. Zuvor schneiden wir aber immer einen Streifen des Tuches ab und gestalten daraus Andenkenkarten für die Eltern, die an der Beisetzung teilnehmen. Es sei an dieser Stelle versichert, dass die betroffenen Eltern sehr berührt davon sind. Nicht nur, weil sie eine Erinnerung an ihr Kind bekommen, sondern weil es sehr trostvoll ist, wenn junge Menschen – auch wenn diese den Eltern gar nicht bekannt sind – auf diese Weise Anteil an ihrem Schicksal nehmen.

Und schließlich ein letzter Hinweis: die Schülerinnen und Schüler gestalten mit Zeit und Mühe ein Seidentuch, das dann in einem Sarg beigesetzt wird – also in der Erde verschwindet und verrotten wird. Der größte Teil der Arbeit hat also nicht auf Dauer Bestand, sondern bleibt unsichtbar, ja löst sich sogar wieder auf. Das kann vielleicht zu einer schönen Lernerfahrung werden: dass es oft nicht darum geht, etwas Bleibendes schaffen zu wollen, sondern darum, in einer von-sich-selbst-absehenden Geste einem andere Menschen Würde zu verleihen.

Dafür danke ich Euch, liebe Schülerinnen und Schüler! Und den Verantwortlichen am Berufskolleg danke ich für die unkomplizierte Zusammenarbeit und ein gemeinsames Stück Herzensbildung!

Text: Martin Naton, Klinikseelsorger, St.-Clemens-Hospital, Geldern
Fotos: Andreas Mäteling


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