„Ein Gramm Prävention wiegt so viel wie ein Kilogramm Intervention“

Ein besonders lehrreiches Seminar zum Thema Umgang mit herausforderndem Verhalten für die FSPB & HEPB

„Ein Gramm Prävention wiegt so viel wie ein Kilogramm Intervention“
Mit diesem aussagekräftigen Spruch leitete Herr Flechtner, der ehemalige Stellvertretende Schulleiter der Don-Bosco-Förderschule in Geldern, seinen lehrreichen Vortrag ein. Er besuchte die angehenden Heilerziehungspfleger und Erzieher, um sie in das Thema „Kinder mit Unterstützungsbedarf im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung“ unter besonderer Berücksichtigung des Umgangs mit herausforderndem Verhalten einzuführen.

Herr Flechtner startete seinen informativen Besuch mit einer „Warm-up“-Runde, indem er verschiedene Statements vorlas und die Studierenden zu den Statements aufstehen sollten, die sie als passend empfanden. Mit Fragen und Aussagen wie: „Wer war schon in der Förderschule tätig?“ oder „Ich habe schon mit Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung gearbeitet“ schaffte er eine lockere Atmosphäre in den Stuhlkreis. In den Statements ging es um verschiedene Verhaltensweisen, die wir kennen gelernt haben, in welchen Einrichtungen wir schon Praktika gemacht haben oder welchen Umgang bzw. auch welche Präventionsmaßnahmen wir mit den Menschen erleben durften. Dabei konnten die Teilnehmenden Beispiele aus ihrer Praxis erzählen.

Als nächstes legte Herr Flechtner ein Seil auf den Boden und jeder Einzelne konnte sich ein Beispiel für eine ihm bekannte Situation in der Einrichtung mit Menschen mit herausforderndem Verhalten überlegen. Dann teilte Herr Flechtner die Klasse in drei Gruppen ein und eine von den Studierenden erzählte ihr Beispiel: In ihrer Einrichtung ist eine Person, die permanent redet, auch dazwischen redet und sich immer angesprochen fühlt, auch wenn man gerade nicht mit ihr redet. Eine Gruppe von uns sollte sich zu dem Beispiel überlegen, wie schlimm sie diese Situation empfinden. Das Seil diente als Einteilung. Ein Ende des Seils stand dafür, dass man die Situation für „ganz schlimm“ empfindet und das andere Ende stand für „gar nicht schlimm“. Die Teilnehmer stellten sich auf die Position hin, wie sie die Situation bzw. die Person wahrnehmen. Beispielsweise stand eine Person bei ganz schlimm und erzählte, dass sie solche Menschen eher als „nervig“ empfindet und eine Person stand beispielweise bei „gar nicht schlimm“, da er sagt, dass er so eine Person auch bei sich in der Einrichtung hat und er das nicht als störend empfindet. Durch diese Übung mussten wir uns alle in verschiedene Zustände reindenken und wir lernten dabei andere Sichtweisen kennen.

An diesem Beispiel konnte man deutlich sehen, dass jeder Mensch Situationen oder überhaupt die Umwelt anders wahrnimmt. Herr Flechtner erklärte uns dieses Phänomen anhand des Erklärungsmodells „Der konstruktivistische Blick“ oder vereinfacht gesagt: Die Wirklichkeit steht im Auge des Betrachters – die Wahrnehmung ist selektiv. Wir nehmen etwas wahr, dann entsteht ein innerer Prozess, wobei die Bedeutungsgebung und die eigenen Emotionen/Gefühle eine Rolle spielen. Daraus resultiert eine Reaktion. Aber auch anders herum: Auf eine Reaktion erfolgt eine Wahrnehmung.

Vor allem erzählte uns Herr Flechtner mit Hilfe des Buches „Das Elterngespräch in der Schule“ von Hennig & Ehinger, woran dies liegt. Der Grund, warum wir auf verschiedene Wahrnehmungen anders reagieren oder Reaktionen anders wahrnehmen, sind Einflüsse. In dem Beispiel „Elterngespräch in der Schule“ wird z.B. der Lehrer von seinen individuellen Erfahrungen, von seiner eigenen Geschichte, von seiner eigenen Befindlichkeit, seinem eigenem Weltbild, seiner eigenen Belastbarkeit, seiner Führungskompetenz, seiner Beziehung zum Kollegium, seinem Ansehen im Kollegium und so weiter beeinflusst. Durch diese Einflüsse reagiert jede Person anders auf eine Wahrnehmung und gleichzeitig nimmt jede Person eine Reaktion anders wahr.

Des Weiteren zählte uns Herr Flechtner fünf verschiedene Entstehungsbedingungen für Entwicklungs- und Verhaltensstörungen auf. Einerseits können traumatische oder belastende Erlebnisse in der Familie Auslöser sein, aber auch Störungen in der Mutter-Kind-Beziehung (Bindungsstörungen) können ein Auslöser der Verhaltensstörungen sein. Herr Flechtner erwähnte: „Störverhalten sind Mittel zum Zweck einer emotionalen Regulation und Stabilisierung“. Vor allem werden Kinder durch die Fremdbestimmung in ihrem alltäglichen Leben beeinflusst, beispielweise wie spät gegessen wird, mit wem die Kinder zusammen sitzen müssen usw. Diese Fremdbestimmung kann negative Gefühle bei Kindern auslösen. Diese negativen Gefühle versuchen die Kinder mit Hilfe ihres störenden Verhaltens zu bewältigen. Die Kinder haben oft gelernt, durch bestimmte Verhaltensweisen/Strategien „ihren Willen zu bekommen“ (Verfestigung von als sinnvoll/notwendig überlebenswichtig erlebten Strategien). Diese Strategien sind für die Kinder schon normiert und deswegen ist es für die Pädagogen schwierig Alternativen zu finden. Vor allem ist es schwierig eine dauerhafte erfolgreiche Alternative zu finden, damit das Kind nicht mehr in seine alten Muster zurück fällt. Jedoch haben auch medizinisch diagnostische Störungen (z.B. AD(H)S, FAS, Autismus-Spektrum-Störung,..) Auswirkungen auf die Entwicklungs- und Verhaltensstörung der Kinder. Vor allem die Erziehungsfähigkeit der Eltern oder Bezugspersonen sind wichtig, da sie den größten Einfluss auf ihr Kind haben.

Aus diesem Grund sagte Herr Flechtner: „Selbstwert bekommt man nur durch Wertschätzung“. Es ist wichtig den Menschen mit herausforderndem Verhalten auf Augenhöhe zu begegnen und Konflikte, Erwartungen und Ängste oftmals zu thematisieren. Demzufolge ist es wichtig sich empathisch den Menschen gegenüber zu zeigen und sich in ihr Verhalten hineinzuversetzen um entsprechend gemeinsam nach einer Lösung oder entlastenden Alternativen suchen zu können.

Wir freuten uns, so viele Informationen rund um das Thema „Kinder mit Unterstützungsbedarf im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung“ zu bekommen, da wir oft mit diesen arbeiten und der Umgang mit ihnen nicht immer leicht ist. Nun aber wissen wir, wie es (besser) geht. Daher wollen wir uns recht herzlich für den Besuch von Herrn Flechtner bedanken!

Vor allem Herr Flechtners Schlusssatz: „Jede Intervention, die ich nach einer Interaktion mache, dient der Prävention“ wird in unserem Gedächtnis bleiben und uns auf unserem Berufsweg begleiten.

Text: Sofie Swet (HEP/B)
Fotos: Andreas Mäteling


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