Kontroverse Standpunkte zum Frieden in Nahost

Es hätte ein kleines Zeichen der Aussöhnung sein können: „Neue Chancen für den Nahen Osten“ lautete das Thema der 5. Podiumsdiskussion der schulinternen Reihe „Schüler diskutieren mit Experten“ der Liebfrauenschule. Doch trotz aller Bemühungen des Berufskollegs des Bistums Münster konnte kein israelischer Gesprächspartner gewonnen werden.

So nahm in der mit rund 400 Schülern voll besetzten Aula neben Mustafah Shehadeh, Pressesprecher der Generaldelegation Palästinas in Deutschland, und Dr. Halima Alaiyan, Ärztin und Schriftstellerin aus Palästina, die sich in Deutschland um die Zusammenführung israelischer und palästinensischer Kinder kümmert, Dr. Franz Bertele, deutscher Botschafter in Tel Aviv von 1993 bis 1996 Platz. Der stellte sofort klar: „Ich gehöre im Konflikt keiner Partei an!“ Er wolle vielmehr Stellung beziehen aus den Erfahrungen, die er als Deutschlands Vertreter in Israel habe gewinnen können.

In der von den Schülern durch Powerpoint-Präsentationen und Videoclips bestens vorbereiteten und sehr souverän moderierten Veranstaltung wurden bei aller gemeinsamen Trauer über jeden Toten im Nahost-Konflikt jedoch auch klar unterschiedliche Positionen deutlich. Provokant die Aussage von Franz Bertele: Selbstmordattentäter seien mit Wissen der Führung Palästinas angeworben worden. Der Widerspruch von Mustafah Shehadeh kam prompt. In diesen Zusammenhang kritisierte Dr. Alaiyan eine latent vorhandene Doppelmoral vieler Menschen: „Wer zu recht die Selbstmordattentate verurteilt, muss in gleichem Maße Kritik üben am israelischen Staatsterror auf palästinensische Zivilisten.“

In die Gefühlslage israelischer Bürger versuchte Dr. Bertele die Schüler zu versetzen. Nach einer Phase der friedlichen Aufbruchstimmung 1993 sei eben durch diese Selbstmordattentate die auf Verständigung ausgerichtete Stimmung vieler Israelis gekippt, und der starke Wunsch nach konventionellen Möglichkeiten des Schutzes sei enorm gestiegen. Die für Israel erhoffte Sicherheit habe es also nicht gegeben, ebenso nicht die wirtschaftliche Gesundung für die palästinensische Bevölkerung. Hier sei eine Ursache des Konfliktes zu suchen. Die in der Folgezeit von Israelis errichteten Sperrwände dürften jedoch keinesfalls genutzt werden, um palästinensisches Gebiet zu annektieren.

Eben jene Sperrzäune bezeichnete Shehadeh dann aber als „rassistische Trennmauer“, die dazu führe, dass seine Landsleute in „kleinen Gefängnissen“ leben müssten, ausgeschlossen von den landwirtschaftlich ertragreichen Flächen und den wichtigen Wasserreservoirs.

Seine Kritik ging auch an die USA und Europa: „Israel ist in der Lage, die Siedlungen aufzulösen. Alles hängt aber davon ab, ob Amerika und Europa Druck machen!“ Bertele widersprach postwendend: Die USA seien immer gegen den israelischen Siedlungsbau gewesen. Und weiter: „Der amerikanische Einfluss wird überschätzt!“

Wie kann das Problem gelöst werden, wollten natürlich die Schüler wissen. Shehadeh kritisierte hier die „ideologischen Betonköpfe“. Eine Lösung mit orthodoxen oder religiösen Argumenten sei schwierig. Sein Wunsch ist die Co-Existenz zweier Staaten, die von den USA und Europa unterstützt werden. „Ich glaube, dass ein Zusammenleben von Moslems, Juden und Christen selbst in Jerusalem möglich ist!“

Dieses forderte auch Dr. Bertele. Für ihn steht fest: Eine Existenz Israels in Frieden dürfe auf keinen Fall in Frage gestellt werden. Alle Kleinsiedlungen in Palästinensergebieten müssten im Gegenzug aufgelöst werden und für die Großsiedlungen seien andere Lösungen zu suchen.

Einen anderen, für den Frieden unerlässlichen Aspekt brachten die Schüler in die überaus angeregte und nie langatmig werdende Diskussion ein: Müsse nicht auch im Bereich von Bildung und Erziehung ein Umdenken einsetzen? Dieser Impuls stieß bei Dr. Alaiyan auf breite Zustimmung: „Die Regierungen müssen unseren Alltag verändern“ meinte sie. Bildung und Erziehung müsse spürbar von heute auf morgen verändert werden. Dr. Alaiyan: „Beide Bevölkerungen müssen mehr und besser übereinander aufgeklärt werden.“

Ewald Hülk


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