Anti-aggressiv und cool

Verstehen, aber nicht einverstanden sein! In einem dreitägigen Seminar über so genannte Konfrontative Pädagogik waren zwei Experten bei Erzieherinnen und Erziehern der FSP/B zu Gast.

Im Rahmen des Anerkennungsjahres der Erzieher kam es in der Woche vom 29.01. bis 02.02.18 zu der Poolwoche, in der die Auszubildenden aus einer Vielzahl verschiedener Seminare wählen konnten. „Verstehen, aber nicht einverstanden sein” war ein Seminar, das von der Kompetenzschmiede NRW angeboten und durch Ingo Melzer und Dominic Daleske durchgeführt wurde.

Dabei fiel vielen die Wahl für das Seminar „Verstehen, aber nicht einverstanden sein!” leicht, denn Ingo und Dominic waren vorher bereits einmal in die Klasse gekommen um eine Ver-anschaulichung mit uns durchzuführen. In dieser stellten wir uns in einen Kreis auf. Ingo nahm eine Poolnudel und schlug Dominic damit feste auf das Bein, was ein lautes „Klatsch” machte. Anschließend sollten wir die Augen schließen und uns nicht bewegen. Wer sich dennoch bewegte, sollte einen kräftigen Schlag mit der Poolnudel abbekommen. Das Don-nern der Schläge, die in Wahrheit alle Dominic trafen, und die Ungewissheit, ob es einen gleich selbst erwischt, erzeugte eine unheimliche Atmosphäre in dem Raum. Nach der Durchführung erläuterten Ingo und Dominic an Hand dieses Experiment, dass es in Deutsch-land viele Kinder und Jugendliche gibt, die genau diese Angst und Anspannung jeden Tag durchleben müssen, weil sie sich nicht sicher sein können, ob ihnen Gewalt im Alltag wider-fährt. Anschließend berichteten sie von ihrer Arbeit als Anti-Aggressivitäts- und Coolness-trainer und umrissen den Inhalt des Seminares. Nach dieser eindrucksvollen halben Stunde wussten viele in der Klasse, dass sie noch mehr über die Arbeit der beiden erfahren wollen.

Nun war die Zeit gekommen sich mit dem Thema intensiv auseinanderzusetzen. Ingo und Dominic stellten sich zu Beginn vor und stellten uns inhaltlich die kommenden drei Tage vor. Dabei stellten sie in den Vordergrund, dass sie sich nicht als Lehrende sehen, sondern wir Kollegen sind, die in einen Austausch treten und Methoden erarbeiten. Denn alles, was in dem Seminar passiert, sei Methode. Diesen Satz sollten wir von nun an jeden Tag hören und er brannte sich schnell in den Kopf ein und bereits in den ersten Minuten wurde klar, was er bedeutet. Denn jeder, der zu spät kam, wurde mit einem netten, aber aussagekräftigen Kommentar in Empfang genommen. Nachdem alle über den thematischen Inhalt der Tage aufgeklärt waren, wussten alle, dass am letzten Tag eine Raumdurchquerung anstand, bei der wir von Ingo und Dominic auf die Probe gestellt werden würden. Wer nun nach einer Pause zu spät zurückkam, wurde freundlich auf die Raumdurchquerung hingewiesen und in den Stimmen der beiden kam die Vorfreude hervor. Aufgrund dieser Aussagen waren sie stets präsent in unseren Köpfen und die Einhaltung der Absprachen verlief vorbildlich.

Ebenfalls wurden viele Übungen durchgeführt und Spiele gespielt. Dabei kam es wiederholt zu Momenten, in denen man sein eigenes Verhalten reflektieren musste. So auch bei einer Übung, die als Spiel begann, bei der ein Eimer in der Mitte des Sitzkreises stand, in der eine zusammengerollte Zeitung war. Mit dieser musste ein Spieler in der Mitte einen anderen am Bein berühren, die Zeitung in den Eimer zurückbringen und versuchen, sich auf den Stuhl zu setzen, bevor der andere ihn mit der Zeitung abschlagen konnte. Die Übung endete damit, dass ein Spieler den auf dem Boden liegenden Dominic mit voller Kraft trat. In dieser Übung wurde uns vor Augen geführt, wie schnell es passieren kann, dass man sich in einer Spirale der Gewalt befindet, in der die Hemmung schwindet.
Auch wenn der Großteil des Seminars auf praktischen Übungen aufbaute, durfte auch der theoretische Unterbau nicht fehlen. Dazu wurde das RAD eingeführt, mit dessen Hilfe die Angebote analysiert wurden. Das RAD steht für Respekt, Aufmerksamkeit und Disziplin. Mit Hilfe dieser drei Aspekte wurde jede Übung durchgeführt und reflektiert. Dadurch, dass es nur drei Eigenschaften sind, ist es leicht zu behalten und wurde schnell von der Gruppe auf-genommen und umgesetzt. Denn in den meisten Übungen musste man Respekt vor seinen Mitspielern haben, denn niemand wollte einem anderen ernsthaft schaden. Aufmerksamkeit wurde benötigt, um zu einem erfolgreichen Ergebnis zu kommen und die Disziplin suchte jeder bei sich selbst und wurde z.B. dafür benutzt, um sich in Spielen an die Regeln zu hal-ten und keine Schlupflöcher auszunutzen.

Eine Methode mit Jugendlichen in Einrichtungen zu arbeiten sind Shortcuts. Sie bieten die Möglichkeit, eine Situation, in der es zu einem Konflikt kommt, zu erarbeiten. Dies kann z.B. durch Symbole geschehen, wodurch ein gewisses Verhalten verdeutlicht werden kann. Die Anwendung eines Shortcuts in der Jugendhilfe kann wie folgt aussehen. Das Telefon klingelt und es meldet sich die Lehrerin eines Bewohners. Dieser hat auf dem Schulhof einen Jungen körperlich attackiert, nachdem er von einem anderen provoziert wurde. Als der Jugendliche zurück in die Wohngruppe kehrt, sucht man mit ihm das Gespräch im Büro. Dabei übergibt man ihm eine Fernbedienung und fragt ihn, was das sei. Anschließend fragt man ihn, wofür diese benutzt wird. Letztlich schlägt man den Bogen dahin, dass der Jugendliche, der etwas Provozierendes gesagt hat, so etwas wie eine Fernbedienung von ihm besitzt. Mit Hilfe dieser Fernbedienung könne er ihn immer wieder zum Ausrasten bringen. Diese Metapher der Fernbedienung soll sich im Kopf des Bewohners festsetzen, wodurch er in einer ähnlichen Situation an den Shortcut denkt. Bei wiederholt negativen Verhalten bietet es auch die Möglichkeit, das Verhalten schneller zu erklären und an Lösungswegen zu arbeiten.

Am letzten Tag kam es zu der angekündigten Raumdurchquerung. Vor und besonders an diesem Tag war eine angespannte Atmosphäre in der Gruppe zu spüren, denn die Beschrei-bungen und Kommentare von Ingo und Dominic hatten ihren Teil dazu beigetragen, dass niemand genau wusste, was einen erwarten würde. Nachdem die Anspannung hoch war und einige am Abend zuvor nur schlecht einschlafen konnten, waren alle nach der ersten der drei Raumdurchquerungen erleichtert. Bei der ersten durchquerte jeder einzeln den Raum und Ingo und Dominic analysierten unseren Gang und die Körpersprache. Bei der zweiten Durchquerung ging es darum, selbstbewusst aufzutreten, damit die beiden einen passieren lassen. Wer den Blickkontakt abbrach oder schmunzelte, musste von vorne beginnen. Im letzten Schritt musste der Raum durchquert werden, während dessen Ingo und Dominic ei-nen ansprachen und daran hinderten, ans Ziel zu gelangen. Das schaffte nur der, der selbst-bewusst auftrat und sich verbal klar und verständlich äußern konnte. Einige gerieten an die-ser Stelle an ihre Grenzen. Gerne hätte die Gruppe an den Raumdurchquerungen weiterge-arbeitet, allerdings war die Zeit für das Seminar bereits erschöpft und schwierigere Raum-durchquerungen hätten eine Nachbesprechung erfordert. Aus diesem Grund besteht die Überlegung, das Seminar im kommenden Jahr auf einen längeren Zeitraum auszudehnen, um noch intensiver an der Thematik arbeiten zu können.

Am Abend des zweiten Tages unterbreiteten Ingo und Dominic das Angebot, mit ihnen den Abend zu verbringen, gemeinsam zu essen, Spiele zu spielen und das Gespräch zu suchen. Dieses Angebot wurde vom Großteil der Gruppe angenommen, woraus sich ein schöner Abend entwickelte. Dabei wurde deutlich, dass Ingo und Dominic vollständig hinter dem ste-hen, was sie in ihrem Seminar vermitteln möchten. Jedem, der sich für dieses Thema inte-ressiert, kann ich die Kurse nur ans Herzen legen.

Text: Björn Heien (FSP/B2)


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