„Sexualität ist nicht behindert!“

Ein Tag zum Thema Sexualität und Behinderung für die Heilerziehungspfleger/-innen

Am 14.12.17 besuchte uns, die HEP/B, Jan Pellens von der Lebenshilfe Kreis Viersen e.V. Lange erwartet wurde dieser Besuch zu dem vermutlich spannenden Thema, und so war es am Donnerstag der zweiten Blockwoche des berufspraktischen Jahres nun soweit. Das Thema: Wie begleite ich Menschen mit Behinderung bezüglich ihrer Sexualität. Ein Thema, das jeden Heilerziehungspfleger in der täglichen Arbeit begleitet und ein Thema, was wie kaum ein zweites, Stoff für diverse Meinungen und Herangehensweisen bietet. Deswegen waren wir froh, Einblicke und Tipps aus dem Alltag des „Profis“ in diesem Bereich zu erhalten.

Der Tag begann mit einer Vorstellungsrunde, in welcher sich zunächst der studierte Sozialpädagoge und Referent Jan Pellens vorstellte. Herr Pellens stellte sich und seine Arbeit als Sexualberater vor und wir teilten unsere Erfahrungen zu diesem Thema aus unserem Arbeitsalltag mit.

Der offene und flexibel gestaltete Workshop zum Thema begann gleich im Anschluss. Schnell wurde klar: Wir waren nicht nur dort um zuzuhören, sondern wurden stets in alle Themen involviert und ein aktiver Teil des Workshops. Sei es mit Fragen, kurzen Rollenspielen oder Überlegungen in Kleingruppen. Stets war unsere Meinung gefragt. Zielgerichtet, unter der Führung von Herrn Pellens, wurde so jedes Themengebiet bearbeitet.

Jan Pellens machte uns bewusst, dass Sexualität losgelöst von Behinderung betrachtet werden muss, da jeder Mensch Sexualität besitzt. Der Satz: „Sexualität ist nicht behindert!“ brannte sich mir dabei besonders ein; schlicht und einfach, aber absolut richtig.

Darauf aufbauend kam unsere Rolle als Heilerziehungspfleger ins Spiel. Unsere Aufgabe als Betreuer der Menschen mit Behinderung jeglicher Art ist es, deren Nachteile auszugleichen und Teilhabe zu ermöglichen. Dies gilt natürlich auch für eine selbstbestimmte Sexualität.

Wer nun denkt, man müsse in diesem Beruf bereit sein, direkte Handlungen mit dem Klienten auszuführen oder zu assistieren, der irrt natürlich. Die Grenze liegt selbstverständlich in der direkten Lustbereitung des Klienten durch den Heilerziehungspfleger. Aber außerhalb dieses Bereichs kann man trotzdem dazu beitragen, dem Menschen mehr Lebensqualität zu geben.

Dies fängt bei der Aufklärungsarbeit der zu betreuenden Personen an, geht weiter über den möglichen gemeinsamen Einkauf von Sexspielzeugen und deren Erklärung hinaus und kann auch das Aufsuchen einer Sexualassistentin für Menschen mit Behinderung beinhalten.

Wie wir lernten, unterstützen Sexarbeiter/innen alte und behinderte Menschen bei der Befriedigung ihrer sexuellen Bedürfnisse. Das Angebot kann vom Erleben von körperlicher Nähe und Berührung über die Hilfe bei der sexuellen Befriedigung bis hin zum Geschlechtsverkehr reichen. Sexarbeiter/innen verstehen sich als Dienstleister/innen, die gegen ein entsprechendes Entgelt in einem bestimmten Zeitrahmen unterschiedlichste körperlich-sexuelle Erfahrungen anbieten.

Diese und viele weitere interessante Informationen hatte Herr Pellens für uns im Gepäck, und auch praktisch hatte er verschiedene Anschauungsobjekte mitgebracht. Dazu gehörten Auf-klärungsbücher mit expliziten Darstellungen, Sexspielzeuge, Kondome und Broschüren zum Bereich der Sexualität.

Allen wurde klar: Es gibt diverse Möglichkeiten, Menschen mit Behinderungen zu befähigen, Sexualität auszuleben und somit die Lebensqualität deutlich zu steigern. Dabei sollte man jedoch auf die simpelste Möglichkeit, nämlich die der Pornographie, verzichten – sofern es nicht der ausdrückliche und selbstbestimmte Wunsch des Menschen ist. Vor allem bei Menschen mit geistiger Behinderung ist dieses Medium sehr fragwürdig. Gemeinsam erarbeiteten wir, wieso dies so ist und kamen zu dem Schluss, dass die Gefahr sehr groß ist, ein falsches Bild von Sex zu vermitteln, was dazu führen kann, dass Haltungen und Ansichten adaptiert werden, oder gesehene Praktiken unsachgemäß ausprobiert werden und dadurch ein Verletzungsrisiko gefördert wird.

Auch Angst vor Sex kann entstehen, was die Sexualität hemmen und stören kann. Des Weiteren ist Frustration eine mögliche Folge, wenn der Sex mit der Freundin nicht mit dem dargestellten Sex im Porno mithält. Um Pornographie gefahrlos anschauen zu können, bedarf es eines hohen Maßes an Abstraktionsfähigkeit, was bei vielen Menschen mit geistiger Behinderung nicht ausreichend vorhanden ist. Der selbstbestimmte Wunsch danach, einen Porno zu sehen, darf natürlich nicht verwehrt werden, muss aber entsprechend begleitet werden.

Auch das Thema Kinderwunsch wurde mittels eines Rollenspiels und gemeinsamen Überlegungen thematisiert. Abschließend kamen alle einstimmig zu dem Schluss, dass der Wunsch nach einem Kind ein Grundrecht ist und niemandem verwehrt werden darf.

Dabei ist es wieder wichtig die Menschen zu befähigen, ein Kind groß zu ziehen, sofern sie alleine nicht in der Lage wären. Ein passendes Umfeld muss geschaffen werden, sodass das Kind die nötige Betreuung erhält um gesund aufzuwachsen. Dies beinhaltet zwar einen hohen Aufwand, ermöglicht aber dem Menschen mit Behinderung, sich einen der größten Träume des Lebens zu verwirklichen.

Zum Abschluss des Workshops widmeten wir uns eines schlimmen, aber sehr wichtigen Themas. Dem Missbrauch. Als Heilerziehungspfleger ist es unsere Aufgabe, den zu betreuenden Menschen die bestmögliche Präventionsarbeit zukommen zu lassen. Das ist ein großes und vielschichtiges Thema. „Präventiv gegen Missbrauch zu arbeiten beginnt in der Aufklärung“, so Herr Pellens.
Der Mensch mit Behinderung muss wissen, was andere bei mir und mit mir machen dürfen und was nicht. Zudem ist es unsere Aufgabe zu vermitteln, dass er immer das Recht hat, „nein“ zu sagen und sich gegen jegliche Übergriffigkeiten zu wehren. Prävention macht es dem Täter schwer und befähigt das Opfer zu handeln. Mögliche präventive Maßnahmen sind dabei Rollenspiele, Informieren über No-Gos und Aufzeigen von möglichen Maßnahmen sich zu wehren. Grundsätzlich gilt: „Empowerment durch Präventionsmaßnahmen!“

Nach diesem Thema endete ein spannender Tag und alle gingen mit neuem Wissen und gesteigerter Sicherheit in der Rolle des Heilerziehungspflegers zum Thema Sexualität bei Menschen mit Behinderung nach Hause.

Text: Mika van Koeverden
Fotos: Ewald Hülk


Hinterlasse einen Kommentar