Zum Wohle des Kindes

Eine ethische Frage, die in der Arbeit mit erwachsenen Menschen mit geistiger Behinderung immer wieder eine Rolle spielt, ist die Frage nach der Elternschaft von Menschen mit geistiger Behinderung. Das Recht auf Elternschaft ist – wie wir immer wieder wahrnehmen – nach wie vor mit vielen Bedenken und Vorbehalten belegt.
Wir haben uns daher im Religionsunterricht einmal genauer damit befasst und die verschiedensten Rahmenbedingungen in den Blick genommen, die neben der zent-ralen Berücksichtigung der Individuen einen Einfluss auf unsere Bewertung der Situation haben könnten. Ein Aspekt schien uns hierbei die Möglichkeit der Betreuung von Eltern mit geistiger Behinderung zu sein.
„Wirklich? Es gibt bei Ihnen auch eine Kinderwohngruppe?“ – „Ja, …“
Die Klasse lauscht gespannt den Ausführungen des Mannes, der am Kopfe des Stuhlkreises sitzt.

Aber auf Anfang:
Nachdem wir passend zu dem oben genannten Thema noch eine Dokumentation mit dem Titel „Mama ist anders“ angeschaut hatten, in dem uns eine Wohneinrichtung präsentiert wurde, in der Mütter mit einer geistigen Behinderung bzw. einer psychischen Störung leben, die alleine nicht für das Wohl ihres Kindes sorgen könnten, war unser Interesse für dieses aus unserer Sicht so wichtige Thema endgültig geweckt. Um diesem Interesse nachgehen zu können, luden wir einen Experten aus einer solchen Einrichtung zu uns in die Schule ein.
Am 11. Oktober 2017 kam der Diplom-Sozialarbeiter Herr Sondermann als Experte zu uns. Er arbeitet bereits seit 23 Jahren – mittlerweile als Bezugsbetreuer bestimmter Familien – in dem „Mehrgenerationenhaus“ in Wesel. Der Träger dieser Einrichtung ist der „Sozialdienst katholischer Frauen e.V.“ (SkF). Der SkF ist ein Frauen- und Fachverband des Deutschen Caritasverbandes und Träger verschiedener Einrichtungen und Dienste. Dieser Verein fühlt sich dem Motto des Gesamtverbandes verpflichtet: „Da sein – Leben helfen“.

In dem Haus leben sowohl Mütter als auch Väter ab 18 Jahren, die aufgrund einer psychischen Störung oder geistigen Behinderung nicht in der Lage sind sich selbstständig um ihr Kind zu kümmern. Das kann sowohl von Seiten des Jugendamtes, des LVR (Landschaftsverband Rheinland) oder anderen Behörden festgestellt werden. Meist bekommen die Eltern dann eine Auflage, die ihnen besagt, dass ein gemeinsames Leben mit dem Kind nur dann möglich sei, wenn sie in eine solche Einrichtung ziehen und dort in ihrem Alltag begleitet werden. Das Sorgerecht liegt dann entweder noch bei den Eltern selbst, oder es wird ganz bzw. zum Teil vom Jugendamt übernommen. Das Haus ist daher eine besondere Möglichkeit für die Eltern, die Beziehung zu ihrem Kind aufrechtzuerhalten/aufzubauen und weiterhin ein gemeinsames Leben zu gestalten. Viele Alleinerziehende oder auch Elternpaare ziehen sogar aus weit entfernten Städten, wie z. B. München und Leipzig in das Mehrgenerationenhaus nach Wesel. Die Wartezeit für eine solche Wohnung ist daher lang. Sie beträgt in der Regel etwa ein halbes Jahr und mehr.
Nachdem Herr Sondermann die Einrichtung und seine Arbeit in Kürze vorgestellt hat, durften wir ihm in einer offenen Runde all unsere Fragen an ihn richten.

Eine unserer ersten Fragen war:
„Wie sieht die Wohnsituation bei Ihnen aus?“
In dem Wohnhaus gibt es fünf verschiedene Wohngruppen. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten bei der Größe und Raumaufteilung der Zimmer. Ein eigener, privater Bereich wird auf jeden Fall gewährleistet. Der „Klassiker“ besteht aus zwei Zimmern, einer Dusche und Toilette. Des Weiteren gibt es eine gemeinschaftliche Küche, in der zusammen gekocht werden kann, und ein gemeinsames Wohnzimmer.

„Was passiert, wenn es einem Mitarbeiter die Balance zwischen Nähe und Distanz schwerfällt oder wenn er vielleicht auch gar keine Beziehung aufbauen kann?“
Nähe und Distanz ist ein grundlegendes Thema in dieser Einrichtung, aber auch in allen anderen Bereichen, in denen mit und an den Menschen gearbeitet wird.
Verschiedene Entlastungsmöglichkeiten und Hilfen werden für die Mitarbeiter des Mehrgenerationenhauses angeboten:
→ Supervision (Form berufsbegleitender Beratungs-, Bildungs- & Betreuungsarbeit)
→ Balint-Gruppen (spezielle Form der Supervision, Schwerpunkt: Beziehung zwischen dem Mitarbeiter und den Bewohnern)
→ Einzelfallbesprechungen
→ Teamsitzungen, in denen sich über die Klienten ausgetauscht werden kann
→ Anleitung durch externe Psychiater

„Wie sieht die Unterstützung für die Familien in ihrer Einrichtung genau aus?“
Mit Hilfe von Sozialarbeitern, Heilpädagogen und weiteren Mitarbeitern unseres Teams sollen die Eltern zu der Erziehung ihrer Kinder befähigt werden. Dabei sollen sie in ihren Fähigkeiten bestärkt werden und an ihren Bedarfen in der Erziehung arbeiten. In erster Linie behilflich bei der Umsetzung dieser Ziele ist eine feste Tagesstruktur, an die sich alle halten sollen. Die Kinder gehen morgens in den Kindergarten oder in die Schule, die Eltern zur Arbeit, beispielsweise in eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Einige Elternteile noch sehr kleiner Kinder gehen auch nicht arbeiten, um sich intensiver um die Kleinen kümmern zu können.

Die Erzieher, Heilpädagogen und Sozialarbeiter begleiten dabei die Familien unterstützend in ihrem Alltag. Sie stehen in Einzel- aber auch in Gruppengesprächen den Eltern mit Rat und Tat zur Seite. Aber auch Paargespräche können angesetzt werden, um mögliche Konflikte zwischen den Elternteilen oder Partner zu lösen.
Um die Eltern zwischenzeitlich auch mal zu entlasten, gibt es die Kinderwohngruppe (KWG). Dort können die Kinder für ein paar Stunden hingehen und werden betreut. Verschiedene Aktivitäten, wie Basteln und gemeinsames Spielen, werden dort den Kindern angeboten. Natürlich gibt es noch viel mehr Unterstützungsangebote (z.B. die Trennungsgruppe, in der Eltern ohne ihre Kinder leben, da sie gerade von ihnen getrennt wurden), die wir an der Stelle hier aber nicht alle aufzählen können.

Wenn diese Thematik euer Interesse geweckt haben sollte und ihr an noch weiteren Informationen interessiert seid, besucht doch die Homepage des Mehrgenerationenhauses: http://www.mgh-skfwesel.de/
Für uns als angehende Heilerziehungspfleger war es auf jeden Fall sehr interessant, eine solch speziell für die Bedürfnisse von Menschen mit Beeinträchtigungen zugeschnittene Einrichtung kennenzulernen. Ein herzlicher Dank an Herrn Sondermann, der uns dargelegt hat, wie Elternschaft von Menschen mit geistiger Behinderung und „zum Wohle des Kindes“ wirklich gelingen kann.

Text: Sofie Swet & Alexandra Müller (HEP/O)
Foto: Andreas Mäteling, http://www.mgh-skfwesel.de


Hinterlasse einen Kommentar