Legalisierung von Cannabis?

Zu dieser Frage fand am 29. Nov. 2016 an unserem Berufskolleg die 19. Podiumsdiskussion der Reihe „Schüler diskutieren mit Experten“ statt. Unterstützt von ihren Politik- und Biologielehrern hatte sich eine Gruppe engagierter Schülerinnen und Schüler zuvor in einem zweiwöchigen Projekt über die Problematik informiert, die Fragen an die Gäste erarbeitet und sowohl informierende als auch provokante Bilder und Filmausschnitte zusammengestellt, mit denen die Moderatorinnen Aleksandra Stojanovic und Leonie Reiner aus dem 13. Jahrgang des Beruflichen Gymnasiums die Gäste im Laufe der Veranstaltung konfrontierten.

Die Gäste auf dem Podium positionierten sich schon mit ihren ersten Statements klar in zwei Lagern: Entschieden für eine Legalisierung sprach sich die Gesundheitsministerin von NRW Barbara Steffens (Bündnis 90/DIE GRÜNEN) aus. Argumentationshilfe bot ihr Lars Scheimann, bekannt unter dem Geschäftsnamen Dr. Hanf, der als erster Deutscher legal – aus medizinischen Gründen – Cannabis konsumieren darf.
Als ebenso überzeugte Legalisierungsgegner, und zwar aufgrund ihrer beruflichen Erfahrung, stellten sich ihnen Helmut Hammerschlag, leitender Oberstaatsanwalt in Aachen, und Dr. Dorothee Deuker, leitende Ärztin der Salus Klinik Castrop-Rauxel für Sucht- und Traumapatienten, entgegen.

Emotional und eindringlich berichtete Lars Scheimann über seinen Leidensweg mit ADHS und dem Tourette-Syndrom: Er sei aufgrund seiner Krankheit schon als Kind immer als nicht integrierbarer Außenseiter behandelt und auch mißhandelt worden. Später habe er alle möglichen Medikamente, starke Psychopharmaka, schlucken und an allen möglichen medizinischen Studien teilnehmen müssen, bis ihm nach langwierigem Kampf gegen die Behörden der Konsum von Cannabis offiziell erlaubt wurde. Dank Cannabis habe er seine Tics nun im Griff, könne ein normales Leben führen und sogar Sport treiben. Sein Fazit:

„Cannabis ist mein Leben“.

Heute führt er in Duisburg ein Geschäft mit Hanfprodukten, mit dem er u.a. das Image von Nutzhanf verbessen möchte: Schon aus ökologischen Gründen sei es falsch und dumm, den Anbau einer so anspruchslosen, hochwertigen und vielfältig verwertbaren Pflanze zu verbieten. Darüber hinaus setzt er sich engagiert auch in den Medien für die Freigabe von Cannabis zu medizinischen Zwecken ein. Das könne z.B. für viele Patienten mit MS oder Parkinson eine gravierende Verbesserung der Lebensqualität bedeuten.
Über den Nutzen von Cannabis für viele dieser Patienten waren sich alle Podiumsgäste einig. Sogar Helmut Hammerschlag stimmte sofort zu: „Damit habe ich überhaupt kein Problem.“ Das war dann aber das Ende der Eintracht und es kam zu einer hitzigen Diskussion über die Frage, ob Cannabis generell für Erwachsene legalisiert werden sollte.

„Pubertät verkifft“

Dr. Deuker sprach sich entschieden dagegen aus: „Wir sprechen ja auch nicht von einer Legalisierung von Heroin, nur weil wir Morphine in der Medizin einsetzen“. „In meiner Praxis habe ich Leute sitzen, die ihre ganze Pubertät verkifft haben und mit achtzehn oder neunzehn Jahren die komplette jugendliche Entwicklung nachholen müssen.“ Deuker erklärte auf die Fragen der Moderatorinnen die Wirkungsweise von THC und Cannabinoiden auf das Gehirn und stellte vor allem heraus, dass die Gehirnentwicklung erst im Alter von 25 Jahren abgeschlossen ist. Ihr geht es darum, insbesondere junge Menschen davor zu bewahren, „ihr Leben vor die Wand zu fahren“, weil sie antriebslos und apathisch nicht in der Lage sind, die Schule oder eine Ausbildung abzuschließen und überhaupt ihre eigene Entwicklung zu durchleben.

„Straftäter können ihr eigenes Geburtsdatum nicht mehr nennen“

Hammerschlag warnte vor dem engen Zusammenhang von Kriminalität und Drogenkonsum. Dabei geht es nicht nur um die reine Beschaffungskriminalität. Ohne die enthemmende Wirkung von Drogen sind seiner Meinung nach die meisten schweren Verbrechen, auch Kapitalverbrechen, gar nicht möglich. Den Einwand, dass in diesem Zusammenhang doch vor allem Alkohol eine Rolle spiele, ließ er nicht gelten: „Dass es uns nicht mehr gelingen wird, den Alkohol zu verbieten, heißt doch nicht, dass wir noch eine Droge zulassen.“

Er bestätigte Deukers Beobachtungen zu den Folgen von regelmäßigem Cannabiskonsum. Seine Mitarbeiter begegnen häufig Straftätern, die bei Aufnahme des Befragungsprotokolls ihr eigenes Geburtsdatum nicht mehr nennen können. Eine Lockerung der Verbote würde die Drogenproblematik sowohl für einzelne, insbesondere junge, experimentierfreudige Menschen als auch für die Gesamtgesellschaft nur vergrößern.

„Keine Drecksubstanzen mehr“

Steffens sieht es aber als völlig falschen Weg an, die Suchtbekämpfung bei dem Verbot der Suchtstoffe anzusetzen. Sie verwies darauf, dass Verbote gar nichts bringen, weil auch heute schon jeder, der Drogen nehmen will, an sie herankommen kann. Dabei wendete sie sich direkt an die Schülerinnen und Schüler und forderte jeden auf, die Hand zu heben, der nicht wisse, wie er sich Cannabis besorgen könnte. Tatsächlich gingen nur wenige Finger nach oben. Steffens sieht die Freigabe des Verkaufs von Cannabis in streng kontrollierten Spezialgeschäften oder Apotheken nur an Menschen oberhalb einer noch festzusetzenden Altersgrenze zwischen 18 und 25 als beste Lösung. Nur so könne man skrupellosen Dealern das Geschäft verderben. „Staatlich kontrollierte Abgabe entzieht der Kriminalität den Boden.“ Außerdem könne man dann mit staatlichen Qualitätskontrollen garantieren, dass den Konsumenten keine gepanschten „Drecksubstanzen“ mit unklarem Wirkstoffgehalt angeboten würden. Die mit dem staatlichen Verkauf erwirtschafteten Steuergelder sollte man dann zur Bekämpfung der wirklichen Ursachen des Drogenkonsums und der Sucht verwenden: für Suchtprophylaxeprogramme in Kindergärten und Schulen. „Ich will, dass niemand süchtig wird.“ Dazu brauche es selbstbewusste und selbstbestimmte, reife Persönlichkeiten, die auf Drogen verzichten können.
Hammerschlag bezeichnete diese Argumentation als „absurd“: Um den Dealern das Wasser abzugraben solle der Staat selbst diese Aufgabe übernehmen! Er warf Steffens Blauäugigkeit und die Verharmlosung der Risiken vor. Empört reagierte Steffens:

„Ich verharmlose gar nichts! Es ist riskant, lasst es sein!“

Trotzdem entschied in einer abschließenden Publikumsabstimmung eine große Mehrheit der Schülerinnen und Schüler für die Legalisierung von Cannabis. Welche Argumente sie überzeugt haben, ob sie damit die völlige Freigabe oder ausschließlich die aus medizinischen Gründen meinen, wird in den folgenden Tagen sicher zu interessanten Unterrichtsgesprächen Anlass sein.

Text: Monika Hellebrandt
Fotos: Günter Rinkens
Film: J. Terhorst
Antenne Niederrhein, Bericht
RP Online, Bericht



Kommentare

  1. woewe sagt:

    >> Ham­mer­schlag bezeich­nete diese Argu­men­ta­tion als „absurd“ << Absurd ist die aktuelle Drogenverbotspolitik: Sie verringert den Drogenkonsum kaum, hebelt aber Jugend- und Verbraucherschutz aus und kriminalisiert dazu noch die Konsumenten. Diese und weitere Risiken des Verbots werden verharmlost!
    "Dealer: solle der Staat selbst diese Auf­gabe über­neh­men!", beim Branntweinmonopol macht er das doch schon (Gesetz gilt bis 2017 noch). Außerdem: Bayerische Staatsbrauerei Weihenstephan und Sächsisches Staatsweingut Schloss Wackerbarth GmbH. Staatliche Drogenproduktionsstätten.

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