„Wir und die Wirtschaft“

„Wir und die Wirtschaft“ lautete das Thema der 4. Podiumsdiskussion unserer Reihe „Schüler diskutieren mit Experten“. „Ohne gute Konjunktur gibt’s nicht mehr Ausbildungsplätze“ war die einhellige Meinung der Experten.

Die Zahlen sind nicht gut: 26,8% der künftigen Fachabiturienten haben bei Bewerbungen für Ausbildungs- bzw. Schulplätze erst einmal eine Absage erhalten. Noch besorgniserregender sind die Zahlen bei den Zehntklässlerinnen der Realschule: Hier betrug die Zahl gar 47,3%. Und 19,6 % der Befragten wussten zum Zeitpunkt der Befragung noch nicht, wie ihre berufliche oder schulische Zukunft nach den Sommerferien aussieht.

Das sind die Zahlen, die eine Umfrage ergab, die Schüler unseres Berufskollegs als Vorbereitung für das Gesprächsforum „Wir und die Wirtschaft“ ermittelt haben und mit denen sie am 17. Mai die Vertreter aus Wirtschaft, Gewerkschaft und Politik konfrontierten.

Ralf Claessen, Jugendsekretär der IG Metall, wartete dabei mit weiterem interessanten Zahlenmaterial auf: „Vier Jahre hintereinander ist das Ausbildungsplatzangebot gesunken.“ Nur 23% der Betriebe würden heute noch ausbilden. Er nimmt Wirtschaft und Politik in die Pflicht.

Dr. Helmut Linssen, Vizepräsident des Landtages NRW, macht die schlechte Konjunktur verantwortlich. Aber er sieht weitere Ursachen: die hohe Steuer- und Abgabenlast, die mangelnde Qualifikation so mancher Bewerber, das geringe Maß an öffentlichen Investitionen und nicht zuletzt die Lehrlingsvergütung für Auszubildende, über die man nachdenken solle: „Incl. der Sozialabgaben kostet ein Azubi dem Arbeitgeber schnell rund 800 €“, diagnostiziert er. „Die Firmen sind kostenbewusster geworden!“

Gegen Zwänge und Zwangsabgaben spricht sich Stefan Joisten, mittelständischer Elektrogroßhändler aus Köln aus. Von einer Ausbildungsplatzabgabe hält er nichts. Er mahnt, den Mittelstand zu stärken. Beim Media-Markt ein Schnäppchen zu kaufen, das über die Metro in der Schweiz versteuert werde, nütze dem deutschen Fiskus nichts.

Stichwort Deutschland und die Welt: Angesichts der Globalisierung, die von den Schülern kritisch hinterfragt wird, appelliert Heinz Zentgraf, Personalratsvorsitzender des Niers-Verbandes und ver.di-Mitglied, die politische Einheit Europas höher zu bewerten als die denkbaren Kosten und Risiken. Er ist sich sicher: „Das Lohnniveau in den neuen EU-Ländern wird ansteigen und gegebenenfalls verlorene Arbeits-plätze werden zurückkommen!“

Hehre Ziele verfolgt Ralf Claessen: „Wir dürfen unsere sozialen Standards nicht nach unten korrigieren, sondern die der anderen Länder nach oben!“ Dass alte Besitzstände auf dem Prüfstand stehen, leugnet er nicht.

Dass ein Zeugnis wenig über die Persönlichkeit des Bewerbers aussagt, steht für alle Podiumsteilnehmer fest. Helmut Linssen nennt Dinge, die Arbeitgeber genauso wie gute Noten schätzen: Fleiß, Pünktlichkeit, Ehrgeiz, Ausdauer. Doch ohne günstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen gehe es nicht, selbst wenn Politiker, egal welcher Partei sie angehören würden, durch Türeklappern so manchen Ausbildungsplatz in der Vergangenheit bei Arbeitgebern noch möglich gemacht hätten. Helmut Linssen: „Die Wirtschaft muss sich bekrabbeln, sonst sieht es mit Ausbildungsplätzen schlecht aus!

Unter den Schülern der Liebfrauenschule stieß die Diskussionsrunde auf ein positives Echo. Auch wenn noch manche Frage aus Zeitgründen unbeantwortet bleiben musste, hatte die intensive Vorbereitung dazu geführt, sich mehr mit wirtschaftlichen Fragestellungen auseinander zu setzen. Lob gab’s auch von den Experten auf dem Podium. Dank eines Rollenspiels, eines von den Schülern erstellten ironischen Videoclips und nicht zuletzt dank der vielen guten Fragen hatten die Schüler/innen einen tollen Eindruck hinterlassen.

Ewald Hülk


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