EU-Beitritt der Türkei?

„Döner essen: ja lecker – EU-Beitritt: nein Danke!“ Angesichts der markant-provokativen Aussagen, aufgenommen bei einer Passantenbefragung in der Gelderner City und vorgespielt auf der großen Aulaleinwand der Liebfrauenschule konnte Ali Kızılkaya noch schmunzeln. Dann aber musste er tief durchatmen: Die Zahlen, die dem Vorsitzenden des Islamrates für die Bundesrepublik Deutschland von den Schülern des Berufskollegs des Bistums Münster präsentiert wurden, waren an Klarheit kaum zu überbieten: 66 % der Schülerschaft, so hatte eine Umfrage zuvor ergeben, war gegen die Aufnahme der Türkei in die EU, nur 11 % dafür.

In der 7. Veranstaltung der schulinternen Reihe „Schüler diskutieren mit Experten“, die dieses Mal das Thema „Die Türkei und die EU: eine Brücke in die Zukunft?“ hatte, wartete auf den Vertreter muslimischer Interessen ein hartes Stück argumentativer Arbeit. Mit ihm auf dem Podium waren weitere prominente Gäste: Michael Breuer (CDU), Landesminister NRW für Bundes- und Europa-Angelegenheiten, Tagrid Yousef, Lehrerin und emanzipierte Muslimin, und Torsten Maes, evangelischer Geistlicher und Islamwissenschaftler.

Bestens vorbereitet präsentierten sich die Schüler, die sich in Arbeitsgruppen und im Unterricht intensiv mit der Vielschichtigkeit der Problematik auseinandergesetzt hatten und in Annette Bäcker und Tobias Bruch (Foto links) zwei Schüler hatten, die souverän moderierten, mit Hilfe von Filmen und Folien geschickt Übergänge schufen und mitunter hartnäckig nachfragten.

Stichwort Kopftuch: In der Türkei sei das Tragen in öffentlichen Einrichtungen wie Schulen verboten. „Warum soll’s hier erlaubt sein?“ fragte Annette Bäcker. Kızılkaya beklagte diese Regelung, da sie jungen Muslimas die Freiheit nähme, mit dem Kopftuch ihre religiöse Freiheit zu zeigen. In Bezug auf die Situation in Deutschland konterte er: „Ich kann nicht nachvollziehen, dass meine Religion nicht so behandelt wird wie andere!“ Und dabei dachte er insbesondere an die jüdische Kippa, die in Deutschland erlaubt sei. Minister Breuer widersprach: Das Kopftuch sei auch ein politisches Symbol. „Wenn es lediglich ein religiöser Ausdruck wäre, dann hätte ich damit kein Problem!“

Stichwort Zwangsehe: Dass es sie gibt, wollte Kızılkaya nicht bestreiten. „Aber sie ist weder religiös durch den Koran begründet noch erlaubt!“ Zwangsehen und Ehrenmorde würden in der Türkei bestraft. Klar die Position von Tagrid Yousef: „Kopftuch, Zwangsehe und Ehrenmorde – im Bereich der Menschenrechte muss die Türkei noch eine ganze Menge tun.“ Kopfnicken hier bei Minister Breuer. Der neueste Menschenrechtsbericht würde das unterstützen. „Wenn sich hier nicht eindeutig etwas ändert, kann die Türkei zum jetzigen Zeitpunkt nicht EU-Mitglied werden!“ Torsten Maes relativierte hier ein wenig: Die Gleichberechtigung sei zweifellos ein großes Problem. Aber nicht nur in der Türkei, sondern auch in anderen Ländern der EU sei sie nicht verwirklicht, und selbst in der Bundesrepublik sei sie nicht in allen Bereichen erreicht.

Die Chancen, die in einer EU-Mitgliedschaft liegen, betonte Kızılkaya. Viele Reformen hätten in der Türkei schon stattgefunden, vieles sei aufgearbeitet worden und eine positive Entwicklung sei auch bei der Kurdenfrage zu erwarten. Würde es nicht zu einer Mitgliedschaft kommen, sondern der Status einer privilegierten Partnerschaft bestehen, würde sich das Land möglicherweise nach Alternativen umschauen. Ob diese aber für die Länder der EU wünschenswert seien, stellte er in Frage.

Wie die EU in 20 Jahren aussehe, wollten die Moderatoren wissen. „Dass die Türkei dann Mitglied der EU ist!“ wünschte Kızılkaya. Auch der Weltfrieden könne so besser abgesichert werden. Yousef sprach sich für einen Reifungsprozess in der EU aus. „Die Gemeinschaft ist jetzt groß genug. Jetzt muss sie stark werden!“ forderte sie. Ähnlich dachte Breuer. Er wünsche sich die EU als einflussreichen Vermittler in der Weltpolitik. Wichtig sei es dafür, die Integration voranzutreiben, die Rechte des EU-Parlaments auszuweiten und die Entscheidungsstrukturen zu vereinfachen. „Dann können wir über neue Mitgliedschaften reden.“

Abschließend dann ein neues Votum der Liebfrauenschüler. Per hochzuhebender Karte stimmten sie ab. Nun war immerhin schon in etwa die Hälfte für die Mitgliedschaft. Da strahlte kurz das Gesicht von Ali Kızılkaya.

Nach der Diskussion fand abschließend in unserer Mensa ein gemeinsames Essen von Podiumsteilnehmern und Lehrern und Schülern statt, die die Veranstaltung vorbereitet hatten.
E.H.


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